PDF-Download - Bayerische Staatsoper
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Ballett<br />
nagano hat in früheren jahren<br />
viel Ballett dirigiert: ende der 70er<br />
zum Beispiel rekonstruierte er mit irina<br />
nijins ka mehrere historische Choreografien<br />
der Ballets russes, in den 80ern<br />
arbeitete er mit maguy marin und angelin<br />
Preljocaj an einigen ihrer bekanntesten<br />
Produktionen. er kennt das metier<br />
genau, weiß um die unterschiede<br />
zwischen der konzertanten aufführung<br />
von Ballettmusik und ihrer einbindung<br />
in szene und Choreografie. Dass letzteres<br />
die musikalische autonomie einschränke,<br />
sieht er nicht wirklich. gro ße<br />
Bühnenkompositionen können den<br />
Zuhörer auch ohne das Bühnengeschehen<br />
faszinieren. und „Daphnis<br />
und Chloé“ ist sicher ein wunderbares<br />
Beispiel dafür, wie musik<br />
auch ohne die Bühne verzaubert<br />
und beim Zuhörer eigene vorstellungen<br />
und Fantasiewelten freizusetzen<br />
vermag. aber ravels musik<br />
bleibt nun einmal dieselbe, egal ob<br />
sie im Konzert oder im Kontext<br />
einer tanz-Performance aufgeführt<br />
wird. Die Partitur fordert bestimmte<br />
Klang- und Farbqualitäten, legt<br />
Dynamik und tempi fest. all das<br />
muss der Dirigent absolut ernst<br />
neh men. Wenn bei der Ballettaufführung<br />
das Optische in der Wahrnehmung<br />
des Publikums mehr gewicht erhält, ist<br />
das für nagano nicht unbedingt ein<br />
nachteil. manches musikalische Detail<br />
trete, vom visuellen unterstützt, vielleicht<br />
sogar klarer hervor. Für ihn ist<br />
jede gute Choreografie und deren tänzerische<br />
um set zung ganz von der musik<br />
geprägt: „sie überträgt musikalische<br />
und eben nicht nur rhythmische Phänomene<br />
in Bewegung und in ein spiel mit<br />
dem raum. musikalische abläufe und<br />
die ereignisse auf der Bühne greifen ineinander.<br />
in die sem spannungsfeld aus hetikl<br />
musik und Be wegung im raum als Dirigent<br />
gemeinsam mit den tänzern zu<br />
atmen und zu gestalten, das ist etwas<br />
einzigartiges.“<br />
Bei ivan liška setzt „Daphnis<br />
und Chloé“ auch persönliche erinnerungen<br />
frei: „Die musik ist unglaublich<br />
inspiriert. und wie sie mit der geschichte,<br />
dem mythos zusammengeht, das ist<br />
fantastisch. Die musik erzählt wundervoll<br />
vom sexuellen erwachen zweier<br />
jun ger menschen, die sich verlieren und<br />
wiederfinden. Das erinnert mich daran,<br />
welche verwirrung das bei mir selber<br />
auslöste. man kann noch einmal nachvollziehen,<br />
wie man sich damals verändert<br />
und die Kindheit hinter sich gelassen<br />
hat. ravel mag artifiziell sein, aber<br />
zugleich ist das für mich ein ganz lebensnahes<br />
stück.“<br />
irgendwie sieht liška „Daphnis“<br />
sogar als eine art spiegelbild seiner<br />
Compagnie, in der er durch die konsequente<br />
ensemblearbeit ständig mit<br />
jungen menschen zu tun hat. jahrelang<br />
begleitet er junge tänzer, beobachtet<br />
ihre entwicklung, ätih lässt sich von h ihrem<br />
idealismus begeistern, verfolgt einen<br />
reifeprozess: „und genau davon erzählt<br />
doch ravels Ballett. auch deshalb wollte<br />
ich es seit langem rea lisieren. aber<br />
ich habe eben einen Choreografen gesucht,<br />
der es nicht auf Bestellung macht,<br />
sondern sich wirklich danach sehnt.“<br />
in terence Kohler hat er nun<br />
diesen Choreografen gefunden, da ist<br />
6<br />
3<br />
i<br />
sich ivan liška sicher. Was genauso für<br />
jörg mannes und sein Projekt „Wohin<br />
er auch blickt ...“ gilt, die von zwei kürzeren<br />
Orchesterwerken ravels umrahmte<br />
umsetzung des Klavierkonzerts für<br />
die linke Hand. schon vor jahren woll te<br />
liška das einsätzige Werk mit john<br />
neu meier verwirklichen, doch irgendwie<br />
klappte es nicht: „seit ich tänzer<br />
bin, liebe ich dieses Konzert, seine mischung<br />
aus hämmernden rhythmen und<br />
Passagen, in denen man sich fühlt, als<br />
schwebe man im Wasser und in der luft<br />
zugleich. Diese musik besitzt eine unglaubliche<br />
Kraft, vor allem aber etwas<br />
magisches, Überirdisches, genauso wie<br />
die von ,Daphnis und Chloé‘. gerade<br />
deshalb müssen die Choreografen neben<br />
viel Fantasie ein genaues gespür<br />
für Konstruktion haben.“<br />
natürlich hätte es nahegelegen,<br />
„Daphnis“ mit Werken<br />
wie „la valse“ oder „Boléro“ zu<br />
koppeln. Doch gerade in der gegenüberstellung<br />
einer echten Ballettkomposition<br />
und eines Werkes,<br />
das nicht der sphäre des Balletts<br />
entstammt, liegt für Kent nagano<br />
der reiz dieses ungewöhnlichen<br />
ravel-Projekts: „Der abend zeigt, dass<br />
Kunst geschichten erzählen kann und<br />
genau so auf abstraktionen abhebt, in<br />
denen sich ganz ursprüngliche Bedürfnisse<br />
ausdrücken: spiel und virtuosität,<br />
Ordnung und Chaos, macht und unterwerfung.<br />
Darin fließen ganz verschiedene<br />
aspekte des menschlichen empfindens,<br />
Denkens und tuns zusammen.“<br />
mehr kann man von einem Ballettabend<br />
eigentlich nicht erwarten.<br />
Oswald Beaujean ist Leiter<br />
der Zentralredaktion BR<br />
Klassik beim <strong>Bayerische</strong>n<br />
Rundfunk.<br />
Foto: Wlademir Faccioni<br />
in der Probe<br />
Mein Ravel<br />
Daphnis und Chloé /<br />
Wohin er auch blickt ...<br />
Neuproduktion /<br />
Uraufführung<br />
Premiere am<br />
21. November 2010<br />
Weitere Termine im<br />
Spielplan ab S. 90