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LP<br />
REVIEWS<br />
BIG STAR<br />
COLUMBIA… LIVE AT<br />
MISSOURI UNIVERSITY<br />
Diese<br />
Wiederveröffentlichung<br />
ist<br />
unbestritten<br />
von<br />
einem Geist für das<br />
Außergewöhnliche<br />
geprägt. Denn die<br />
Alben von Big Star<br />
waren schon im Oi Original grundsätzlich<br />
Ladenhüter. Allerdings gilt die Band,<br />
von der zwischen 1972 und 1978 drei<br />
wegweisende Platten erschienen, in der<br />
Rückschau als maßgeblicher Einfluss<br />
für Indie-Rock, Alternative und Grunge.<br />
COLUMBIA dokumentiert einen Reunion-Gig<br />
aus dem Jahr 1993, als die Big-<br />
Star-Zeit gut 20 Jahre zurücklag. Und<br />
genau dieser Umstand erstaunt, klingt<br />
der schrullige Live-Auftritt doch geradezu<br />
wie das Tondokument einer hippen<br />
Gruppe aus jenen Jahren. Ein bisschen<br />
Dinosaur Jr., schräge R.E.M. und Brit-<br />
Rock-Schlagseite – es ist schon beeindruckend,<br />
für wen Big Star vermutlich<br />
so alles Steilvorlagen gegeben haben<br />
dürften. Bei diesem denkwürdigen Konzert<br />
waren von der wichtigsten Big-Star-<br />
Besetzung noch Alex Chil<strong>to</strong>n (g, voc)<br />
und Jody Stephens (dr, voc) mit dabei.<br />
Unterstützt wurden sie von den Posies-<br />
Musikern Jonathan Auer und Ken Stringfellow.<br />
Dass die Songs alles andere als<br />
perfekt klingen, passt trefflich zum ungehobelten<br />
Material der Band, die damit<br />
allein bei ihren COLUMBIA-Aufnahmen<br />
mehr Punk versprühen, als Kasperköppe<br />
wie Green Day während ihrer gesamten<br />
Karriere.<br />
(Steamhammer/SPV, 1993, 14 Tracks) jub<br />
LEON RUSSELL<br />
THE MONTREUX SESSION<br />
Hut ab! Heute noch<br />
eine Rockproduktion<br />
puristisch „direct <strong>to</strong><br />
two track” zu fahren,<br />
dazu noch pur<br />
analog, grenzt schon<br />
an Wahnsinn. Doch<br />
edel lhat sich entschlossen, innerhalb seiner<br />
„AAA”-Reihe genau diesen Weg zu<br />
gehen. Direkt vom Mischpult auf eine<br />
Zweispur-Tonbandmaschine überspielte<br />
Produzent Dirk Sommer diesen Auftritt<br />
von US-Legende Leon Russell und seiner<br />
vierköpfigen Band am 6. Juli 2011<br />
in Montreux. Der Begleiter unzähliger<br />
Rockgrößen spielte natürlich seinen<br />
größten Hit “Delta Lady”, coverte auch<br />
mehr oder weniger gekonnt die Beatles<br />
(“I’ve Just Seen Your Face”), die S<strong>to</strong>nes<br />
(“Wild Horses”) und Chuck Berry (“Roll<br />
Over Beethoven”). Der mit allen Wassern<br />
gewaschene Keyboarder, Sänger, Songschreiber<br />
und Produzent ist mit Jahrgang<br />
1942 nicht mehr der Jüngste, was man<br />
seiner ungeschminkt aufgenommenen<br />
Stimme auch anhört. Doch was soll’s:<br />
Das höchst routiniert gespielte Programm<br />
aus Swamp-Rock, Rock’n’Roll<br />
und Blues klingt dermaßen au<strong>the</strong>ntisch,<br />
unmaskiert und natürlich, dass man sich<br />
direkt in die Miles Davis Hall versetzt<br />
fühlt. Wahnsinn.<br />
(edel, 2013, 12 Tracks)<br />
lbr<br />
ROACHFORD<br />
ROACHFORD<br />
“Cuddly Toy” – auf<br />
dem Debüt von<br />
1988 enthalten –<br />
war der größte Hit<br />
von Roachford, womit<br />
das Trio auch in<br />
Deutschland zumindest<br />
tfür Aufmerksamkeit k sorgte. Richtige<br />
Duftmarken hinterließen die Briten aber<br />
nie. Selbst mit ihrer unvergleichlichen<br />
Single “Lay Your Love On Me” von 1994<br />
schafften sie nicht einmal die Top 50. Dabei<br />
hatte die Band so ziemlich alles, um zu Superstars<br />
aufzusteigen: mit Andrew Roachford<br />
einen charismatischen Frontmann,<br />
der eingängige Songs komponierte, einen<br />
ausgewogenen Mix aus straightem Power-<br />
Pop und groovendem Soul sowie einen<br />
Kreativitätsbrunnen, der nicht zu versiegen<br />
schien. Das nun in 180 Gramm vorliegende<br />
Debüt gab 1988 einen Einblick in die Fähigkeiten<br />
der Gruppe, die sich in den Folgejahren<br />
noch zu Größerem aufschwingen<br />
sollte. Weshalb diese SPV-Veröffentlichung<br />
in der remasterten Version allerdings gegenüber<br />
dem Original an Druck eingebüßt<br />
hat und der einst fette Bass obendrein etwas<br />
aufgeweicht wurde, bleibt das Geheimnis<br />
von Studiotüftler Roger Lomas.<br />
(Steamhammer/SPV, 1988, 10 Tracks) jub<br />
BLOOD, SWEAT & TEARS<br />
SECOND ALBUM<br />
In jeder einigermaßen<br />
seriösen<br />
Top-100-Liste<br />
der<br />
besten<br />
Rock-LPs<br />
taucht das zweite<br />
Album von BS&T<br />
zwangsläufig<br />
auf.<br />
Htt Hatten sich ihdie US-amerikanischen Brass-<br />
Rocker doch mit dem kanadischen Sänger<br />
David Clay<strong>to</strong>n-Thomas ein weiteres Ass in<br />
den Ärmel geholt. Aus dem sie dann eine<br />
Fülle grandioser Songs beziehungsweise<br />
Bearbeitungen zauberten, keiner wie der<br />
andere und einer stärker als der andere.<br />
Taktwechsel, überraschende Harmonien<br />
und virtuose Instrumentaleinlagen machen<br />
das SECOND ALBUM zum Vorläufer des<br />
progressiven Rock. Beginnend und endend<br />
mit einer fluschigen Variation einer Melodie<br />
des französischen Exzentrikkomponisten<br />
Eric Satie, prasselten dazwischen<br />
Alltime-Greats wie “Spinning Wheel”<br />
(neben der Ballade “Sometimes In Winter”<br />
die einzige Eigenkomposition), “You<br />
Made Me So Very Happy”, “And When<br />
I Die” und die sensationelle Fassung von<br />
“Smiling Phases”. Die zwischen jazzigem<br />
Swing und hart rockendem Beat irisierenden<br />
Drums, der tight treibende Bass<br />
und die messerscharfen Bläsersätze kamen<br />
noch nie so direkt, so fesselnd und so dynamisch<br />
aus der schwarzen Rille wie diesem<br />
luxuriösen Umschnitt auf zwei Scheiben<br />
mit 45 Umdrehungen. Mit dieser Wucht,<br />
dieser Stimmpräsenz und diesem Detailreichtum<br />
kann selbst die MFSL-Gold-CD<br />
kaum mithalten; und für amerikanische<br />
Verhältnisse geriet auch die Pressung–<br />
nach Möglichkeit waschen (lassen) – recht<br />
gut. Unbedingt zugreifen.<br />
(ORG/Sieveking Sound, 1968, 2 LPs<br />
45 rpm, 10 Tracks) lbr<br />
THE ALAN PARSONS<br />
PROJECT<br />
GAUDI<br />
Das war’s dann. 1987<br />
raffte sich das Team<br />
Alan<br />
Parsons/Eric<br />
Woolfson zum letzten<br />
Originalalbum ihres<br />
einst so innovativen<br />
Projects auf. Im neunminütigen<br />
Titelsong, gesungen von John<br />
Miles, beziehen sich die Au<strong>to</strong>ren auf den<br />
katalanischen Architekten An<strong>to</strong>nio Gaudi<br />
(1852–1926), dem sie so ein musikalisches<br />
Denkmal setzen. Ansonsten gibt es routiniert<br />
komponierten und gespielten, gefälligen Pop<br />
zu hören. Wobei sich “Too late” fast schon<br />
nach Foreigner anhört. Die große Klasse<br />
der ersten drei Alben hallt noch als Ahnung<br />
durch die Rillen. Parsons hatte seinerzeit<br />
schon auf 48 Digitalspuren aufgenommen<br />
und mit dem seinerzeitigen State-of-<strong>the</strong>-art-<br />
Equipment gemischt und gemastert. Das LP-<br />
Reissue geht freilich auf die jüngeren Digitalremaster<br />
des Meisters zurück.<br />
(<strong>Music</strong> On Vinyl/Cargo, 1987, 7 Tracks) lbr<br />
TIM BUCKLEY<br />
TIM BUCKLEY<br />
In der an Sensationen<br />
nun nicht gerade<br />
armen<br />
Halbdekade<br />
1965–1970 spielt<br />
das Debütalbum des<br />
1966 gerade mal<br />
19-jährigen Supertalents<br />
Timothy Charles Buckley III definitiv<br />
in der ersten Liga. Mit seiner orpheusartigen<br />
Tenorstimme, seinen grandiosen Songs und<br />
nicht zuletzt seiner schieren Schönheit eroberte<br />
er Frauenherzen im Sturm, die heterosexuellen<br />
Jungs erfreuten sich dagegen<br />
an dem zeittypisch leicht psychedelisierten<br />
Folk-Rock, dem die Produzenten Rothschild/Holzman<br />
ab und an einige Streichereinheiten<br />
(arrangiert von Jack Nietzsche)<br />
gönnten. Dieses Jahrzehnt-Album hat Rhino<br />
als Deluxe-Edition auf Doppel-CD im<br />
Programm, mit Mono- und Stereomix sowie<br />
unterirdisch klingenden Livematerial.<br />
Doch für (Wieder-)Entdecker reicht dieses<br />
ordentliche Vinyl-Reissue alle mal.<br />
(<strong>Music</strong> On Vinyl/Cargo, 1966,<br />
12 Tracks) lbr<br />
AL DI MEOLA<br />
ELEGANT GYPSY<br />
Ein Titel, ein Programm:<br />
“Race With<br />
Devil On A Spanish<br />
Highway” heißt eine<br />
der akustischen Visitenkarten<br />
auf Al Di<br />
Meolas zweitem Solo-Album.<br />
Der Hochgeschwindigkeits-Gitarrist<br />
rockt den Gaszug bis zum Anschlag,<br />
mischt reichlich Latin-Feeling ins Getriebe,<br />
beschleunigt mit Altmeister Paco de Lucia<br />
akustischen Flamenco (“Mediterrenean<br />
Sundance”) zum fulminanten Endspurt und<br />
kommt bei allem Geschwindigkeitsrausch<br />
doch nie aus der virtuosen Spur. Als Begleiter<br />
fährt der ehemalige Saitenhexer der Fusion-Pioniere<br />
Return To Forever die Crème<br />
de la Crème der Studio-Asse auf. Und doch<br />
gibt es statt seelenlosen Gedudels auch reichlich<br />
Melodien und begeisternde Rhythmen,<br />
Vinyl<br />
so dass die elegante Zigeunerin auch heute<br />
noch anmutig und anhörbar die Abtastnadel<br />
tanzen lässt. Auch wenn das mit Beiblatt<br />
aufwartende MOV-Reissue minimal weniger<br />
dynamisch und distanzierter klingt als<br />
das seinerzeit von Bob Ludwig gemasterte,<br />
großzügiger gepresste CBS-Original.<br />
(<strong>Music</strong> On Vinyl/Cargo, 1977, 6 Tracks) lbr<br />
TIM HARDIN<br />
BIRD ON A WIRE<br />
In Vietnam schon<br />
früh mit Heroin in<br />
Kontakt gekommen,<br />
war der singende<br />
Weltschmerz-Poet<br />
Tim Hardin 1971 bereits<br />
zum Wrack heruntergekommmen.<br />
Und dennoch erbarmte<br />
sich Columbia-Produzent Ed Freeman noch<br />
einmal des Tristesse-Barden (Überdosis-<br />
Tod 1980), gestattete dem nur noch bedingt<br />
Kreativen vier Cover-Versionen. Darunter<br />
den von Leonard Cohen geborgten Titelsong,<br />
der wohl die Verkaufszahlen pushen<br />
sollte und mit dem das Album recht oberflächlich-weinerlich<br />
beginnt. Aber dann:<br />
welch ein echtes Leid, welch eine abgrundtiefe<br />
Melancholie bricht sich da Bahn. Mit<br />
schütterer, doch ausdruckstiefer Stimme<br />
besingt Hardin die Hölle auf Erden, eingebettet<br />
in geschmackvolle, mal streichertraurige,<br />
mal jazzig-pluckernde Arrangements,<br />
begleitet von Topmusikern. Das exzellent<br />
gemasterte und gepresste Reissue im originalen<br />
Klappcover ist ein Muss – aber nichts<br />
für Suizidgefährdete.<br />
(<strong>Music</strong> On Vinyl/Cargo, 1971,<br />
10 Tracks) lbr<br />
MAMA’S BOYS<br />
POWER AND PASSION<br />
Auch wenn die irischen<br />
Mama’s Boys<br />
ihrer Musik wie in<br />
“Lettin’ Go” traditionelle<br />
Elemente<br />
ihrer Heimat beigaben,<br />
war das Material<br />
ilder drei iMM McManus-Brüder ganz auf<br />
den US-Markt zugeschnitten: schmissiger<br />
Melodic Metal mit Gang-Shout-Refrains.<br />
Vor allem POWER AND PASSION, das<br />
fünfte Album der Band, schwamm im<br />
Fahrwasser von Ratt, Warrant & Co. Und<br />
das mit Erfolg. Überdies konnten Muttis<br />
Jungs mit echten Ohrwürmern aufwarten,<br />
die trotz der Genre-Grenzen sehr<br />
abwechslungsreich gestaltet waren. Während<br />
zum Beispiel “Don’t Tell Mama”<br />
ein auf Nummer sicher gespielter Party-<br />
Kracher ist, kommt das mit einer unter<br />
die Haut gehenden Melodie ausgestattete<br />
“Needle In The Groove” gedrosselter und<br />
durchdachter daher. Mit “The Professor<br />
II” gibt es gar ein hektisches Instrumentalstück.<br />
Ein Manko dieser Wiederveröffentlichung<br />
ist der Qualitätsverlust beim<br />
Cover. Die genretypische, sich genussvoll<br />
auf einem Steinthron räkelnde Schnecke,<br />
die im Original heiß rüberkam, sieht bei<br />
SPV aus, als würde sie unter einem wirklich<br />
fiesen Sonnenbrand leiden. Allerdings<br />
hat das Remastering auch die knackige<br />
Produktion geschliffen. Druck und<br />
Transparenz haben dezent verloren.<br />
(Steamhammer/SPV, 1985, 9 Tracks) jub<br />
Seite 46 ■ <strong>GoodTimes</strong> 4/2013 ■ <strong>Music</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>60s</strong> <strong>to</strong> <strong>the</strong> <strong>80s</strong>