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„Aber – da kamen die Liedertafeln<br />
in Mode!“ erinnert sich der „stille<br />
Musikant“ in Theodor Storms<br />
gleichnamiger Novelle. Und er ist<br />
nicht glücklich darüber. Denn die<br />
Übernahme der Direktion eines<br />
solchen Männervereins brachte<br />
letzten Endes Verwirrung in seinen<br />
Lebensgang.<br />
Es steht uns nicht an, Storms<br />
literarischen Einfall tiefenpsychologisch<br />
zu deuten. Immerhin<br />
fällt auf, dass auch er Liedertafeln<br />
dirigierte. Doch übernahm er<br />
solcherart Geschäfte erst rund<br />
35 Jahre, nachdem die Zeltersche<br />
„Urtafel“ ins Leben getreten war.<br />
Und folglich erzählt denn Storms<br />
„stiller Musikant“ von einer „bunten<br />
Gesellschaft“, zu der neben<br />
Handwerkern, Kaufleuten und<br />
Beamten auch ein Nachtwächter<br />
– mithin ein außerordentlicher<br />
Bassist – gehörte. Die „Erdenunterschiede“,<br />
so der Novellenheld,<br />
hätten an dieser Liedertafel „keine<br />
Geltung haben können.“<br />
Das Zeugnis lässt vermuten, dass<br />
des „stillen Musikanten“ sangeskräftige<br />
Männerrunde sehr wohl<br />
im Traditionszusammenhang mit<br />
dem Zelterschen Original stand.<br />
Jedoch hatte der Maurermeister<br />
und Musiker in den Grund seines<br />
Bauwerks Ingredienzien eingefügt,<br />
die andernorts im Wandel<br />
der Bauvorstellungen an Gewicht<br />
verloren.<br />
Eine löbliche Beimischung fürs<br />
Fundament lieferte der Weimarer<br />
Dichterfürst nach Berlin: Er<br />
schenkte Geselligkeit auf hohem<br />
Niveau. Karl Friedrich Zelter hatte<br />
Goethe gegenüber sein Leid über<br />
das Fehlen von Fröhlichem in der<br />
Dichtung geklagt. Des Wimmerns<br />
und Ächzens sei im Leben schon<br />
genug. Also schuf Goethe fröhliche<br />
Verse, die Zelter vertonte und seine<br />
Mannen sangen. Da heißt es z. B.:<br />
Heiter trete jeder Sänger<br />
Hochwillkommen, in den Saal!<br />
Denn nur mit dem Grillenfänger<br />
Halten wir’s nicht liberal.<br />
Fürchten hinter diesen Launen,<br />
Diesem ausstaffierten Schmerz,<br />
Diesen trüben Augenbrauen<br />
Leerheit oder schlechtes Herz.<br />
Niemand soll nach Weine lechzen<br />
Doch kein Dichter soll heran,<br />
Der das Ächzen und das Krächzen<br />
nicht zuvor hat abgetan!<br />
Und Zelter vermeldete Goethe,<br />
dass die Gesänge „immer mehr<br />
die gewünschte Wirkung“ täten.<br />
„Statt des hängenden, matten<br />
Lebens“ - so stellte er fest - „tritt<br />
ein munterer gestärkter Sinn<br />
hervor ... der Schritt wird sichrer<br />
durch helle Freude.“<br />
Die erreichte aber nur einen erlauchten<br />
Kreis – ein Ingredienz,<br />
das wir heute mit Stirnrunzeln<br />
zur Kenntnis nehmen und von<br />
dem Zelter seinem Weimarer<br />
Freund Ende Dezember 1808<br />
Nachricht gab: Die Mitglieder<br />
der ins Auge gefassten Liedertafel<br />
müssten entweder „Dichter,<br />
Sänger oder Componisten sein“.<br />
Einer von denen war Karl Friedrich<br />
Rungenhagen. Der schrieb u. a.<br />
Opern und Oratorien, aber auch<br />
eine Messe für Männerstimmen.<br />
Andere übten ihre jeweilige Passion<br />
nur im Nebenberuf aus, wie<br />
z. B. der Direktor der Königlich<br />
Preußischen Staatslotterie, Wilhelm<br />
Bornemann. Der bedachte<br />
zwar, berufsbedingt, einige seiner<br />
Landsleute mit materiellen<br />
Zuwächsen. Geistigen Gewinn<br />
<strong>ChorPfalz</strong> November/Dezember 2009 Seite 133<br />
„Heiter trete jeder Sänger hochwillkommen in den Saal“<br />
Zum 200. Gründungstag<br />
der Zelterschen Liedertafel<br />
dagegen bereitete er weit mehr<br />
Mitmenschen. Denn er ersann die<br />
Verse des späteren Volksliedes „Im<br />
Wald und auf der Heide“.<br />
Als er sie 1816 veröffentlichte,<br />
war Zelters Liedertafel kein reines<br />
Unikat mehr. In Frankfurt an der<br />
Oder und in Leipzig existierten da<br />
schon gleichnamige Abkömmlinge.<br />
Und 1818 zog Magdeburg<br />
nach.<br />
Begonnen aber hatte alles vielleicht<br />
schon 1807. Jedenfalls<br />
lässt dies Wilhelm Bornemann in<br />
einem 1851 erschienenen Werk<br />
über die Zeltersche Liedertafel<br />
durchblicken. Er gibt davon Kunde,<br />
wie der vor Napoleon geflohene<br />
Friedrich Wilhelm III. sich in Ostpreußen<br />
vom Gesang russischer<br />
Soldaten begeistern ließ. Und<br />
der preußische Wettbeamte und<br />
Lyriker bedeutet uns, dass Zelter<br />
aus jenem Umstand königlichen<br />
Entzückens den ersten Impuls zur<br />
besonderen Pflege des Männergesangs<br />
empfangen hätte.<br />
Wie dem auch sei – unleugbar<br />
scheint, dass das „feierliche Ab-<br />
schiedsmahl“ für ein Mitglied der<br />
Berliner Sing-Akademie den Sinn<br />
des späteren Liedertafelgründers<br />
für eine umfassende Ausprägung<br />
von Männergesang weitete. Die<br />
Sing-Akademie hatte am 8. Mai<br />
1808 zu besagter Festlichkeit<br />
geladen. Der Wohlklang von Tafelliedern<br />
quoll da aus geübten<br />
Männerkehlen. Und Zelter fragte<br />
Bornemann am nächsten Morgen:<br />
„Schwebte Ihnen nicht gestern<br />
Abend König Arthurs Tafelrunde<br />
vor? Wiedererwecken wollen wir<br />
das alte Sängerwesen.“<br />
Gewiss – die Sehnsucht nach einer<br />
idealisierten Vergangenheit war<br />
angesichts kränkender Gegenwart<br />
einsichtig.<br />
Doch die Herren von der Sing-<br />
Akademie zu Berlin, die sich am<br />
21. Dezember 1808 trafen, um<br />
die Stiftung der Liedertafel für den<br />
24. Januar 1809 zu beschließen,<br />
blieben letztlich Kinder ihrer Zeit<br />
und damit deren geistigem Spannungsfeld<br />
verhaftet.<br />
Zelter gab Goethe im oben zitierten<br />
Brief Kenntnis vom engen<br />
Bezug der Liedertafel zur „Wiederkunft<br />
des Königs“. Und er informierte<br />
ihn über das zukünftige<br />
Innenleben seiner Kreation. „Eine<br />
Gesellschaft von 25 Männern ...<br />
versammelte sich monatlich einmal<br />
zu einem Abendmahl von zwei<br />
Gerichten und vergnügt sich an gefälligen<br />
deutschen Gesängen ...<br />
Bild oben: Karl Friedrich Zelter (1758-<br />
1832), Leiter der Berliner Sing-<br />
Academie und Gründer der Berliner<br />
Liedertafel – Bild unten: Goethes<br />
Bundeslied „In allen guten Stunden“,<br />
das Karl Friedrich Zelter vertont hat<br />
und das heute noch bei den Zelterfeiern<br />
gesungen wird.