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Seite 58 <strong>ChorPfalz</strong> Mai/Juni 2009<br />
Amerikanischer Komponist setzt neue Akzente in der<br />
Chormusik - da kommt Bewegung in die Sache!<br />
Das 3. Internationale Festival<br />
für Kinder- und Jugendchöre<br />
„Touch the future“ rückt immer<br />
mehr in den Blickpunkt der<br />
Öffentlichkeit. Zu einer Vorbereitungsphase<br />
kam der renommierte<br />
amerikanische Komponist<br />
und Choreograph John Jacobson<br />
nach Deutschland. In diesem<br />
Zeitraum wurde für interessierte<br />
Chorleiter, Sänger und Musikpädagogen<br />
die sogenannte „reading<br />
session“ in Schifferstadt<br />
durchgeführt, organisiert vom<br />
Chorverband der Pfalz.<br />
John Jacobson stellte neue Chorliteratur<br />
vor. Nicht nur das Lesen<br />
und Singen vom Notenblatt,<br />
sondern vor allem das Verbinden<br />
Wir waren dynamisch, jung, energiegeladen.<br />
Wir wollten die Welt<br />
verändern. Auch ideologisch waren<br />
wir voll drauf, hatten die ‚Politische<br />
Ökonomie‘ von Karl Marx,<br />
dazu Freud und Rosa Luxemburg<br />
gelesen.<br />
Wir Schulmusiker hatten verschämt<br />
den ‚Dr. Faustus‘ von Thomas<br />
Mann in das hinterste Eck des<br />
Bücherregals verbannt. Das war ein<br />
viel zu schöngeistiger Zugang zur<br />
Musik des 20. Jahrhunderts. Der<br />
allwissende, aller Zweifel enthobene<br />
Guru war nun Theodor W.<br />
Adorno. Er hatte uns klargemacht,<br />
dass das Singen tradierter Lieder<br />
eine Ideologie transportiert, die<br />
nicht mehr die unsere sein konnte.<br />
Der Slogan der Zeit hieß: ‚Macht<br />
kaputt, was Euch kaputt macht‘.<br />
Von Liedern wollten wir uns schon<br />
gar nicht unterkriegen lassen. Ergo<br />
ließen wir das Singen im Unterricht<br />
ganz sein.<br />
Damit nicht genug, wurde der<br />
Schulgesang auch noch von der<br />
Ministerialbürokratie unterlaufen.<br />
Prima. Das passte. Wir waren<br />
ja ganz auf Doppelstrategien<br />
eingestellt. Das Schlagwort der<br />
Kulturbehörde lautete ‚Wissen-<br />
der Musik mit Bewegungselementen<br />
stand im Vordergrund<br />
– neue Akzente wurden gesetzt.<br />
Jacobson erklärte genau, zu welchen<br />
Liedtexten die Bewegungen<br />
umgesetzt werden sollen und<br />
machte die Bewegungselemente<br />
vor. Nach Anfangsschwierigkeiten<br />
fanden alle Teilnehmer in<br />
die Verbindung von Musik und<br />
Bewegung hinein und hatten<br />
riesigen Spaß. Im Laufe des Tages<br />
wurden die Bewegungsfolgen<br />
immer anspruchsvoller, aber nicht<br />
zuletzt durch die charismatische<br />
Ausstrahlung von John Jacobson<br />
hielten alle durch. Schrittfolgen,<br />
die an Hipp-Hopp erinnern, oder<br />
schlangenartiges Bewegen zu<br />
Cha-Cha-Cha-Klängen waren<br />
schaftspropädeutik‘. Das meinte<br />
im Klartext: Fächer, die nicht ihre<br />
wissenschaftliche Bedeutung für<br />
die Studierfähigkeit der Schüler<br />
nachweisen konnten, mussten<br />
damit rechnen, aus dem Fächerkanon<br />
der Gymnasien eliminiert zu<br />
werden. Das musste mit aller Kraft<br />
verhindert werden.<br />
Also entdeckten wir die Musikwissenschaft.<br />
Gut war, was leicht<br />
abfragbar war und selbst vom ministerialen<br />
Aufpasser beim Abitur<br />
verstanden wurde. Formenlehre,<br />
Harmonielehre, Musikgeschichte:<br />
Klasse. Damit wurde Musik zu<br />
einem Lernfach wie jedes andere<br />
auch. Sensibilisierung der<br />
irgendwann kein Problem mehr.<br />
Um zu zeigen, wie das im Chor<br />
umgesetzt werden kann, präsentierte<br />
der Kinder- und Jugendchor<br />
Juventus Vocalis (Leitung Judith<br />
Janzen) einige zuvor choreographierte<br />
Stücke wie „You can’t<br />
stopp the beat“ oder „One Song“.<br />
Juventus Vocalis arbeitet schon<br />
seit Jahren mit choreographierter<br />
Chormusik, und zwar seit der<br />
Chortournee 1997 von Vancouver<br />
nach San Francisco, bei der der<br />
Kontakt mit John Jacobson hergestellt<br />
und seitdem immer mehr<br />
vertieft wurde.<br />
Vom 10. bis 19. Juli wird der<br />
Amerikaner beim 3. Internationalem<br />
Festival für Kinder- und<br />
Die 68er und der Schulgesang<br />
Hörfähigkeit, Einfühlung in die<br />
Musik, Aufbau einer emotionalen<br />
Schicht als Basis für kognitives und<br />
motorisches Lernen: Alles flog systematisch<br />
raus. Was wir machten,<br />
machten wir gründlich.<br />
Der Erfolg gab uns Recht im Extrem.<br />
Mit Energie und Ausdauer<br />
haben wir erreicht, dass fast eine<br />
ganze Generation ein problematisches<br />
Verhältnis zur Musik<br />
entwickelte. Es wurde nicht mehr<br />
gesungen, es gab kein gemeinsames<br />
Liedgut mehr. Da die individuelle<br />
Basis fehlte, fand damit<br />
für viele überhaupt kein Zugang zu<br />
wertbeständiger Musik mehr statt.<br />
Theorie ohne praktische Veranke-<br />
Jugendchöre „Touch the future“<br />
wieder im Rhein-Pfalz-Kreis<br />
sein. Während des Festivals wird<br />
für interessierte Chorleiter und<br />
Chorleiterinnen in Kooperation<br />
mit dem Chorverband der Pfalz<br />
eine Choral Conductor Study<br />
Tour von drei Tagen (voraussichtlich<br />
vom 14.-16.Juli 2009)<br />
angeboten. Informationen:<br />
www.touch-the-future.com.<br />
(Anneliese Kuhn)<br />
rung verpufft im Nirwana.<br />
Viele der heutigen Eltern können,<br />
selbst wenn sie es wollten, mit<br />
ihren Kindern keine Lieder mehr<br />
singen, weil sie selbst keine kennen.<br />
Das haben wir also gründlich<br />
und prima hinbekommen.<br />
Der Deutsche Chorverband ist<br />
gerade dabei, die alten Sünden<br />
aufzuarbeiten. Kürzlich wurde dem<br />
3000. Kindergarten der ‚Felix‘ verliehen.<br />
Gott sei Dank. Damit wird<br />
die Basis gelegt, dass viele Kinder<br />
wieder über eigenes Tun einen<br />
direkten, persönlichen Zugang zur<br />
Musik bekommen.<br />
Dynamisch, jung, energiegeladen<br />
und ideologiekritisch allein genügt<br />
offenbar nicht. Manchmal ist es<br />
auch nicht schlecht, wenn man<br />
sich auf die wirklichen Inhalte<br />
eines Faches besinnt. Musikunterricht<br />
ohne einen direkten Zugang<br />
zum klingenden Werk, der dann<br />
reflektiert werden kann, ist keiner.<br />
Auch das ist die Lehre aus den<br />
68ern. (Helmut Schaarschmidt in<br />
der Verbandszeitschrift des Chorverbandes<br />
Niedersachsen-Bremen,<br />
Nr. 58 / April 2009)