ÃBER RELIGION INS GESPRÃCH KOMMEN - Religionslehrer im ...
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Ausdruckskodex eingepasst. In diesem Stadium entsteht häufig eine<br />
Antipathie gegen Schreiben. Schreiben wird gleichgesetzt mit Pflicht,<br />
Anstrengung, Unterordnung unter Regeln, ja, Strafe und Bestrafung. Es<br />
wird zur Last, ist mit der Angst vor Regelverletzung verbunden, und geht<br />
mehr und mehr eine Verbindung mit dem rein begrifflichen Denken ein:<br />
„Die in frühen Jahren entfalteten Fähigkeiten, sich frei und kreativ<br />
auszudrücken, werden nun auf das ausgefahrene Gleis der Konventionen<br />
geleitet.“ 207<br />
Kreatives und natürliches Schreiben versucht nun, auf der 3. Stufe des<br />
kultivierten Sehens, Hörens und Gestaltens das kindliche Staunen 208<br />
wieder zu entdecken und auf dieser höheren Stufe fruchtbar zu machen für<br />
den kreativen Schreibprozess. Jeder, der wieder Anschluss an die eigene<br />
Bilderwelt findet, kann schreiben, seiner St<strong>im</strong>me Ausdruck geben, das ist<br />
gewissermaßen das „Credo“ der Schreibbewegung. Wenn auch Texte, die<br />
auf diesem gleich noch näher zu beschreibendem Weg entstanden sind,<br />
häufig spontan eine hohe sprachliche Qualität besitzen, so ist dies nicht<br />
vorschnell mit literarischer Qualität zu verwechseln. „Jeder kann schreiben“<br />
– das heißt, dass jeder seinen authentischen sprachlichen Ausdruck zu<br />
Papier bringen kann, nicht aber dass jeder ein Schriftsteller ist. Auf ähnliche<br />
Weise, so denke ich, ist der Ausruf von Beuys „Jeder Mensch ist ein<br />
Künstler“ zu verstehen, als Aufforderung nämlich, die jedem Menschen<br />
innewohnenden kreativen Potentiale zu nutzen und <strong>im</strong> Ausdruck zu<br />
gestalten.<br />
Rico bezeichnet das natürliche Schreiben als einen Akt der<br />
Selbstdefinierung, „in dem Sie sich bewusst werden, was Sie entdecken,<br />
207 Ebd. S. 60.<br />
208 In Blochs „Spuren“ findet sich eine wunderschöne Beschreibung, wie das ursprüngliche<br />
Staunen in die Betrachtungsweise eines erwachsenen Menschen einkehrt.<br />
„Ja, denken Sie nur, es regnet. Die das fühlte, plötzlich darüber staunte, war weit zurück,<br />
weit voraus. Wenig fiel ihr eigentlich auf und doch war sie plötzlich an den Ke<strong>im</strong> alles<br />
Fragens gerückt. In der Jugend sind wir doch häufig so leer und rein gest<strong>im</strong>mt. Wir sehen<br />
zum Fenster hinaus, gehen, stehen, schlafen ein, wachen auf, es ist <strong>im</strong>mer dasselbe, scheint<br />
nur in dem sehr dumpfen Gefühl: Wie ist das alles doch unhe<strong>im</strong>lich, wie übermächtig<br />
seltsam ist es, zu „sein“. Sogar diese Formel ist schon zuviel, sieht aus, als ob das nicht<br />
Geheure nur am „Sein“ läge. Denkt man sich aber, daß nichts wäre, so ist das nicht<br />
weniger rätselvoll. Es gibt keine rechten Worte dafür oder man biegt das erste Staunen<br />
um.“ In Bloch, Ernst: Spuren, neue erweiterte Ausgabe, Ffm 1969, S. 216.<br />
Christina Fabian-Heidrich, Über Religion ins Gespräch kommen, 2002 84