Novemberpogrom - Österreich Journal
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ÖSTERREICH JOURNAL NR. 125 / 28. 11. 2013<br />
Wissenschaft & Technik<br />
Hypothese zum Ursprung<br />
von Allergien<br />
Allergien sind ziemlich unnötig: Anstatt gesundheitsgefährdende Mikroben<br />
zu bekämpfen, wendet sich das Immunsystem gegen ungefährliche Pollen,<br />
Haare oder Staubpartikel.<br />
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Allergie-ähnliche Immunreaktionen könnten<br />
eine Schutzfunktion des Körpers<br />
vor Gift sein. Zu diesem überraschenden<br />
Ergebnis kommen WissenschafterInnen der<br />
Stanford University, USA, in einem vom<br />
Wissenschaftsfonds FWF kofinanzierten<br />
Projekt. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse<br />
belegen, daß Bienengift in Mäusen eine<br />
Immunantwort und die Bildung von Immunglobulin<br />
E-Antikörpern auslöst, die auch für<br />
Allergien typisch sind. In der Folge schaffen<br />
diese IgEs dann jedoch einen Schutz gegen<br />
später verabreichte höhere Mengen des Gifts.<br />
Damit wurde erstmals eine direkte Schutzfunkion<br />
von IgEs gegen Gift für den Körper<br />
beobachtet – was eine umstrittene Hypothese<br />
aus den 1990er-Jahren zur Entstehung von<br />
Allergien untermauert.<br />
Allergien sind ziemlich unnötig<br />
Anstatt gesundheitsgefährdende Mikroben<br />
zu bekämpfen, wendet sich das Immunsystem<br />
gegen ungefährliche Pollen, Haare<br />
oder Staubpartikel. Die Frage, warum der<br />
Körper sich so heftig gegen Harmloses<br />
wehrt, beschäftigt zahlreiche WissenschaftlerInnen<br />
auf der ganzen Welt. Die jetzt in Immunity<br />
veröffentlichte Arbeit eines Erwin-<br />
Schrödinger-Stipendiaten des Wissenschaftsfonds<br />
FWF gibt einer umstrittenen Hypothese<br />
zur Erklärung solcher allergischer Reaktionen<br />
erneuten Auftrieb.<br />
Foto: Triff/Shutterstock.com<br />
Forschungs»summen« wohl investiert – Körperreaktion auf Bienengift stärkt<br />
Hypothese zur Allergie-Entstehung<br />
Gift schützt vor Gift<br />
Philipp Starkl, der sein Stipendium zur<br />
Mitarbeit im Team von Prof. Stephen J. Galli<br />
am Department of Pathology der Stanford<br />
University School of Medicine nutzt, faßt<br />
das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit so<br />
zusammen: „Mäuse, denen wir zuvor geringe<br />
Mengen an Bienengift verabreicht hatten,<br />
zeigten anschließend eine erstaunliche Resistenz<br />
gegen höhere Mengen des Gifts. Wie<br />
bei einer Impfung schien der Körper eine Art<br />
Immunschutz gegen das Bienengift aufzubauen.“<br />
Interessanterweise sind vom Menschen<br />
aber auch ganz andere Reaktionen<br />
bekannt – der wiederholte Kontakt mit Bienengift<br />
kann zu allergischen Reaktionen<br />
oder gar zu einem anaphylaktischen Schock<br />
führen. Maßgeblich verantwortlich dafür<br />
sind Antikörper des Typs IgE.<br />
Starkl und seine KollegInnen stellten sich<br />
die Frage, ob diese Antikörper auch bei den<br />
in Mäusen beobachteten Reaktionen beteiligt<br />
sind. Zur Klärung dieser Frage wurde<br />
Bienengift an drei verschiedene Mäusestämme<br />
verabreicht, in denen die Funktionsweise<br />
einer auf IgE basierenden Immunreaktion<br />
auf unterschiedliche Weise unterbunden war.<br />
Die Ergebnisse zeigten, daß diese Mäuse –<br />
im Gegensatz zu den vorher untersuchten<br />
„normalen“ Mäusestämmen – keinen Schutz<br />
gegen Bienengift aufbauen konnten. IgEs<br />
dürften in Mäusen also durchaus auch eine<br />
positive Funktion haben. Eine Erkenntnis,<br />
die im krassen Gegensatz zu dem steht, was<br />
vom Menschen bisher bekannt war. Dort<br />
gelten IgE-Antikörper hauptsächlich als Verursacher<br />
allergischer Reaktionen. Eine darüber<br />
hinausgehende positive Funktion wurde<br />
zwar vermutet (etwa in der Immunabwehr<br />
gegen Parasiten), konnte aber bisher nicht<br />
direkt nachgewiesen werden.<br />
»Österreich <strong>Journal</strong>« – http://www.oesterreichjournal.at<br />
Evolution folgt Funktion<br />
Doch das Stanford-Team war gar nicht so<br />
sehr überrascht von dieser positiven Funktion<br />
von IgEs. Dazu Starkl, der mit seinem<br />
belgischen Kollegen Thomas Marichal gemeinsamer<br />
Erstautor der aktuellen Publikation<br />
ist: „Die Annahme, daß die Funktion<br />
von IgE-Antikörpern auf das Auslösen allergischer<br />
Reaktionen beschränkt sei, griff aus<br />
unserer Sicht schon immer zu kurz. Sonst<br />
wären IgEs im Zuge der Evolution sicher eliminiert<br />
worden. Eine Überlegung, die auch<br />
der sogenannten Gift-Hypothese zugrunde<br />
liegt.“<br />
Diese besagt, daß der Körper mittels IgE-<br />
Antikörpern und allergischer Reaktionen<br />
einen Schutz gegen giftige Substanzen aufbauen<br />
kann. So hätten IgEs in der Evolution<br />
des Menschen tatsächlich eine sehr wichtige<br />
Funktion erfüllt – die erst durch die immer<br />
besser geschützte Lebensweise der Menschen<br />
an Bedeutung verlor. Allergische Reaktionen,<br />
so die Hypothese weiter, wären dann<br />
extreme oder unkontrollierte Formen des<br />
Schutzmechanismus. Tatsächlich könnte<br />
gerade auch die „Unterbeschäftigung“ dieses<br />
Reaktionsweges in modernen Zeiten dazu<br />
beitragen, daß er zu Über- oder Fehlfunktionen<br />
neigt.<br />
Die von Margie Profet im Jahr 1991 aufgestellte<br />
Gift-Hypothese war bisher stark<br />
umstritten – aber nie widerlegt worden. Die<br />
Arbeit des Erwin-Schrödinger-Stipendiaten<br />
des FWF liefert nun erstmals ein experimentelles<br />
Ergebnis zu ihrer Untermauerung –<br />
und zeigt einmal mehr die Wichtigkeit eines<br />
„Open Minds“ in der Wissenschaft. •<br />
Originalpublikation: T. Marichal, P. Starkl,<br />
L. L. Reber, J. Kalesnikoff, H. C. Oettgen, M.<br />
Tsai, M. Metz, und S. J. Galli, A Beneficial Role<br />
for Immunoglobulin E in Host Defense<br />
against Honeybee Venom, Immunity (2013),<br />
http://dx.doi.org/10.1016/j.immuni.2013.10.005