Mikromechanische Modellierung von Formgedächtnismaterialien
Mikromechanische Modellierung von Formgedächtnismaterialien
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Sowohl der Formgedächtniseffekt als auch die Pseudoelastizität gehen mit der Ausbildung<br />
<strong>von</strong> Mikrostrukturen einher. Dabei verändern Teile des Materials spontan ihre kristalline<br />
Struktur. Derartige Transformationen sind sowohl zwischen der Hochtemperaturphase, dem<br />
Austenit, und der Tieftemperaturphase Martensit als auch zwischen verschiedenen Ausrichtungen<br />
des Martensits, seinen so genannten Varianten, möglich. Man spricht daher auch <strong>von</strong><br />
martensitischen Transformationen und Mikrostrukturen.<br />
Die Fähigkeit, sich durch martensitische Transformationen an Belastungen anzupassen, bedingt<br />
aber nicht nur die besondere Flexibilität im Materialverhalten <strong>von</strong> Formgedächtnismaterialien,<br />
sondern erschwert auch die Vorhersage eben dieses Verhaltens. Mit dieser Arbeit<br />
soll deswegen durch mikromechanische Modellbildung ein Beitrag zum besseren Verständnis<br />
grundlegender Vorgänge in Formgedächtniswerkstoffen geleistet werden. Hierbei<br />
wird <strong>von</strong> möglichst wenigen, physikalisch gut motivierten Kennwerten ausgegangen, um<br />
die elastische Energie phasentransformierender Materialien aufzustellen. Unter Verwendung<br />
geeigneter Hilfsmittel aus Mathematik, Numerik und Mechanik werden aus dieser energetischen<br />
Formulierung grundlegende Aspekte des Materialverhaltens, wie Pseudoelastizität<br />
und Pseudoplastizität, abgeleitet.<br />
Die Anwendung der in dieser Arbeit vorgestellten mikromechanischen Modelle zur Simulation<br />
komplexer Bauteile ist nur mit erheblichem Rechenzeitaufwand zu realisieren. Für derartige<br />
anwendungsnahe Berechnungen sind daher nach derzeitigem Forschungsstand phänomenologische<br />
Modelle zu bevorzugen, welche die jeweils relevanten Aspekte des Materialverhaltens<br />
durch Einführung und Anpassung einer häufig recht großen Anzahl <strong>von</strong> Parametern<br />
abbilden. Die Ursachen der besonderen Eigenschaften der untersuchten Werkstoffe<br />
werden in phänomenologischen Modellen zumeist nicht betrachtet. Die hier diskutierten mikromechanischen<br />
Modelle eignen sich neben der Erforschung des grundlegenden Materialverhaltens<br />
<strong>von</strong> phasentransformierenden Werkstoffen auch zur Bestimmung <strong>von</strong> Parametern<br />
für phänomenologische Modelle.<br />
Ein Vorteil der mikromechanisch motivierten Betrachtungsweise ist, dass zur Abschätzung<br />
des Materialverhaltens lediglich grundlegende Parameter wie Elementarzellengeometrien,<br />
elastische Kennwerte und Umwandlungstemperaturen bekannt sein müssen. Hierdurch kann<br />
der Zeit- und Kostenaufwand für die Entwicklung neuer Legierungen im Vergleich zur detaillierten<br />
experimentellen Untersuchung der Eigenschaften jeder Werkstoffzusammensetzung<br />
wesentlich gesenkt werden. Ein weiterer Schritt zur rechnerunterstützten Werkstoffentwicklung<br />
ist, auch die vom mikromechanischen Modell benötigten Kennwerte nicht experimentell,<br />
sondern durch ab-initio-Berechnungen zu bestimmen. Die Mikromechanik nimmt<br />
dann eine Brückenfunktion zwischen der atomistischen und der Bauteilskala ein. Die skalenübergreifende<br />
<strong>Modellierung</strong> ist ein bedeutender Themenbereich in der interdisziplinären<br />
Werkstoffforschung.<br />
Im folgenden Kapitel werden zunächst die für diese Arbeit erforderlichen Grundlagen der<br />
Kontinuumsmechanik und der Kristallographie kurz eingeführt. Die Grundlage des besonderen<br />
Materialverhaltens <strong>von</strong> Formgedächtnislegierungen, nämlich die Transformation <strong>von</strong><br />
Austenit zu Martensit, wird in diesem Zusammenhang ebenfalls erläutert.<br />
Der dritte Abschnitt befasst sich der <strong>Modellierung</strong> <strong>von</strong> einkristallinen Formgedächtnismaterialien.<br />
Hierbei liegt der Fokus auf der möglichst genauen Eingrenzung der freien Energiedichte<br />
des Materials. In der Literatur wird vielfach eine untere Grenze zur Abschätzung der<br />
freien Energiedichte verwendet. Die im Rahmen dieser Arbeit entwickelten oberen Grenzen