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Wladimir Kaminer Russendisko

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Ganz anders Andrej. Er trank nie etwas selbst und konnte<br />

wegen zwei unverkauften Dosen die halbe Nacht lang auf dem<br />

Bahnhof stehen. Wenn das Geschäft nicht richtig lief, erhöhte<br />

er sogar die Preise von DM 1.80 auf DM 2.50. Andrej hatte<br />

seine eigene Verkaufsstrategie. Ständig experimentierte er mit<br />

dem Sortiment. Mal kaufte er bei Aldi noch zusätzlich ein Kilo<br />

Kaugummi, mal zwei Dutzend Duplo-Riegel, die er bescheiden<br />

auf den Boden neben das Bier platzierte und für 50 Pfennig das<br />

Stück verkaufte. Er sparte, ernährte sich fast ausschließlich von<br />

Müsli und führte gewissenhaft Buch über Einnahmen und<br />

Ausgaben. Bald hatte er das Geld für seinen ersten Fernseher<br />

zusammen, den er höchstpersönlich im Zug nach Polen auf<br />

einen Markt brachte. Mit hundert Mark Gewinn kam er zurück.<br />

Auf der nächsten Reise nahm er zusätzlich noch eine<br />

Stereoanlage mit.<br />

Nach einem Jahr spielten Mischa und ich noch immer Gitarre<br />

in der Küche, während Andrej bereits seinen ersten<br />

Lebensmittelladen in der Dimitrowstraße eröffnete und einen<br />

VW besaß. Er ging richtig wissenschaftlich an die Sache heran<br />

und führte in der Umgebung seines Ladens eine Umfrage<br />

durch, um festzustellen, was er in erster Linie anbieten sollte.<br />

Laut dieser Umfrage hatte er dann vor allem drei Artikel im<br />

Sortiment: Jägermeister, Berliner Pilsner und Bild am Sonntag.<br />

Er wollte aber mehr und füllte den Laden schließlich mit den<br />

verschiedensten Sachen wie beispielsweise Glühbirnen und<br />

Nähzeug. Auch russische Lebensmittel nahm er ins Angebot.<br />

Wenig später heiratete er eine Frau aus St. Petersburg, die<br />

schließlich einen Sohn zur Welt brachte, den er Mark nannte.<br />

Uns erzählte Andrej, dass er von einer großen Familie träumte<br />

und sich viele Kinder wünschte. Mischa meinte dazu, dass er<br />

den zweiten Sohn wahrscheinlich Pfennig nennen werde, aber<br />

wie es jetzt aussieht, wird Andrejs nächster Junge wohl eher<br />

Dollar heißen.<br />

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