Wladimir Kaminer Russendisko
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Stadtführer Berlin<br />
Seit einiger Zeit gilt Berlin in den russischen Reisebüros als<br />
eine Art Geheimtipp für Reiche. Man könne sich dort<br />
mörderisch amüsieren, heißt es. In einem russischen<br />
Stadtführer von Berlin werben die Reiseveranstalter mit dem<br />
Slogan »Hissen Sie Ihre ganz persönliche Flagge auf dem<br />
neuen Deutschen Reichstag - Berlin erleben und erobern!«<br />
Mein alter Freund Sascha, der an der Humboldt-Universität<br />
Germanistik studiert, bekam neulich den Auftrag, einen dieser<br />
russischen Berlin-Stadtführer zu aktualisieren. Nichts<br />
Dramatisches, nur ein paar frische Geheimtipps wie Potsdamer<br />
Platz und Ähnliches. Verzweifelt kam er zu mir. Die reichen<br />
Russen haben wenig Zeit, deswegen sind in den alten<br />
Stadtführern meist nur Eintage-, höchstens Dreitagereisen<br />
eingeplant. Alles muss schnell gehen. Bei einer Fünftagereise<br />
für besonders pedantische Touristen wird der Reisende sogar<br />
zum Teufel geschickt, nämlich nach Potsdam - raus aus Berlin.<br />
»Eine herrliche Landschaft mit vielen Skulpturen, Imbissen<br />
und Wasserfällen« ist über Potsdam in der russischen Ausgabe<br />
zu lesen. »Besonders zu empfehlen ist das Schloss Sanssouci,<br />
das 1744 von König Friedrich II. erbaut wurde. Auch lohnt sich<br />
ein Besuch der dortigen Kantine, die gegrillte Schweine mit<br />
Speckklößen und Apfelrotkraut anbietet. Die Bildergalerie im<br />
Schloss ist ebenfalls sehenswert, dort hängen einige echte<br />
Caravaggios und Raffaels, die jedoch nicht zu verkaufen sind.<br />
Achtung: Trinken Sie auch bei starkem Durst nicht aus dem<br />
Wasserfall, es könnte zu Erkrankungen führen.«<br />
Die Angaben zu den kürzeren Reisen sind in demselben Ton<br />
verfasst, einer Mischung aus pathetischem Kunstbuch und<br />
sorgsam gestrickter Speisekarte. Bei der Eintagereise erhöht<br />
sich die Geschwindigkeit enorm. Vom Europa-Center rennt der<br />
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