Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Mein Freund Georg und ich waren noch nie in Rom gewesen,<br />
es hatte einfach nie einen richtigen Anlass für die Reise<br />
gegeben. Doch Lena in ihrer neuen Qualität als verwitwete<br />
Gräfin zu besuchen, war uns Grund genug. Wir stiegen in einen<br />
Bus und fuhren los. Im Moskauer Flachland aufgewachsen,<br />
wurden wir in Italiens Bergen sofort seekrank. Unser Bus fuhr<br />
rauf und runter, die zwei Flaschen Weinbrand, die wir zur<br />
Rettung dabei hatten, waren schnell leer. Geschwächt und<br />
angetrunken stiegen wir in Rom aus. Im Morgennebel stürzte<br />
Georg gleich in eine Baugrube, die sich als Ausgrabungsstelle<br />
am Colosseum erwies. Etwas unterhalb spielten albanische<br />
Jugendliche Fußball. Georg wollte unbedingt mitspielen, aber<br />
die Albaner hielten das für keine gute Idee. Kurz darauf kamen<br />
einige afrikanische T-Shirt-Verkäufer. Sie behaupteten, die<br />
Grube in der Nacht zuvor eigenhändig ausgehoben zu haben,<br />
um ihre T-Shirts mit Michelangelo-Aufdruck besser verkaufen<br />
zu können. Plötzlich befanden wir uns mitten in einem<br />
internationalen Konflikt. Georg veranstaltete sofort eine<br />
Friedenskonferenz. Die Albaner gingen schließlich freiwillig<br />
nach Hause, und wir halfen den Afrikanern, einige antike<br />
Steine zur Ausschmückung der Grube zusammenzusuchen.<br />
Zum Dank und als Andenken schenkten sie uns zwei<br />
Michelangelo-T-Shirts.<br />
Wir machten uns auf die Suche nach Lenas Schloss. Es war<br />
schon dunkel, als wir es entdeckten. Lena freute sich riesig.<br />
Müde nach der langen Reise, nahm ich erst einmal ein Bad in<br />
der Wanne, in welcher der Graf gestorben war. Anschließend<br />
zog ich auch noch seine frisch gebügelten Sachen an - davon<br />
gab es drei Wandschränke voll. Lena klagte, als Gräfin ein<br />
langweiliges Leben führen zu müssen. Sie durfte keine<br />
fremden Männer anbaggern. Die Familie ihres Mannes hatte<br />
extra einen Leibwächter für Lena engagiert, der sie von<br />
Männern fernhielt. Frustriert widmete sich Lena der Literatur,<br />
und seit einem Jahr saß sie bereits an einem erotischen Roman,<br />
134