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Wladimir Kaminer Russendisko

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Ein verlorener Tag<br />

Der Kulturredakteur einer Zeitung ruft mich an. Ich soll mir<br />

irgendwas zum Thema Jugendkultur einfallen lassen. Und das<br />

um 10.00 Uhr früh. Was ist das überhaupt, Jugendkultur? Ich<br />

rufe meinen Freund Kolia an, der immer über alles Bescheid<br />

weiß. Er sagt, ich sollte vielleicht MTV ankucken, je länger<br />

desto besser. Sie fangen um acht an, die Einführung habe ich<br />

schon verpasst. Was soll's. Ich schalte den Fernseher an: Dicke<br />

schwarze Männer tanzen um einen Baum herum. Das Telefon<br />

klingelt. Ein gewisser Herr Kravchuck, ein Reporter von<br />

Spiegel spezial, meldet sich und mault, er hätte für seinen<br />

Beitrag über in Berlin lebende osteuropäische Intellektuelle so<br />

gut wie gar keine passenden Kandidaten gefunden. Bei den<br />

Russen hatte er nur ein paar ältere, frustrierte Typen<br />

aufgetrieben und Bulgaren gar keine. Ich rege mich auf. Wie<br />

bitte? Keine Bulgaren? Die sind doch überall, man erkennt sie<br />

ja nur nicht, weil sie die Deutschen so perfekt nachmachen.<br />

Jedes Orchester in Deutschland hat einen bulgarischen<br />

Dirigenten, die gesamte Uniprofessorenschaft besteht<br />

hauptsächlich aus Bulgaren, dann gibt es noch den<br />

Stockhausenpreisträger, und zu guter Letzt das Bulgarische<br />

Kulturinstitut. Und wenn es um osteuropäische Intellektuelle<br />

geht, dann gibt es, verdammt noch mal, mich. Der<br />

Spiegelmann schreibt sich das alles auf und meint auch, dass<br />

ich unbedingt in die Sonder-Ausgabe rein muss.<br />

»In 20 Minuten kommt der Fotograf und macht die Fotos von<br />

Ihnen.« Ich ziehe schnell die Hosen an und suche nach einem<br />

sauberen Hemd. Gleichzeitig kucke ich weiter MTV in Sachen<br />

Jugendkultur. Die dicken schwarzen Männer drehen noch<br />

immer unverdrossen ihre Runden um den Baum. Der Fotograf<br />

heißt Karsten und will mich in einer Menschenmenge<br />

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