Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
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freuen sich und bereiten sich auf langes Warten und<br />
Herumsitzen vor. Für viele Russen ist »Stalingrad« zu einer<br />
Beschäftigung für die ganze Familie geworden. Die Männer<br />
nehmen an den Schlachtszenen teil, die Frauen spielen<br />
Sekretärinnen in Chruschtschows Stab, und die Kinder hängen<br />
rum.<br />
Bevor die Liebesszene anfängt, wird erst einmal anständig der<br />
Stab bombardiert. Das ist bei Stalingrad so üblich. Ich muss<br />
mich während der Bombardierung hinter einem großen<br />
Küchenschrank verstecken und Angst haben. Der Schrank ist<br />
ein wertvolles Stück, richtig alt und mit Lorbeertüten<br />
vollgepackt, die russisch beschriftet sind. Die Lorbeerblätter<br />
ergeben in diesem Zusammenhang nur wenig Sinn, aber die<br />
Requisitentante kann die Beschriftung sowieso nicht lesen,<br />
Hauptsache es ist etwas Russisches. Die Bombardierung findet<br />
mit großem technischem Aufwand statt: Ein Techniker rüttelt<br />
den Küchenschrank, ein anderer schüttet Staub auf mich. Die<br />
Regieassistentin ist unzufrieden. »Sie sind nicht ängstlich<br />
genug«, meint sie. »Stellen Sie sich vor, heute könnte der letzte<br />
Tag Ihres Lebens sein. Können Sie nicht ein entsprechendes<br />
Gesicht machen? Nicht so steif!« »Für dreizehn Mark in der<br />
Stunde schneide ich doch keine Grimassen«, protestiere ich.<br />
»Es reicht schon, dass ich vollgestaubt hinter diesem<br />
Lorbeerschrank sitze. Für Grimassen haben Sie doch Roger<br />
Rabbit.« Ein Lohnkonflikt bricht aus. Ich werde schließlich<br />
ausgetauscht und gehe zu den anderen Statisten, die draußen<br />
Karten spielen.<br />
Die Fickszene wird als Schatten durch eine Zeltwand gedreht.<br />
Neben dem Zelt spielen wir, die Soldaten, Karten. Der<br />
bulgarische Zauberer zeigt uns ein paar Kartentricks und<br />
erzählt, wie ihn die Bundesregierung damals für DM 35 000<br />
aus dem bulgarischen Gefängnis freikaufte. »Ein guter Deal«,<br />
meint der Bulgare. Sein deutscher Kollege erwidert, das sei<br />
rausgeschmissenes Geld gewesen. Die Russen schweigen dazu<br />
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