17.11.2012 Aufrufe

Wladimir Kaminer Russendisko

Wladimir Kaminer Russendisko

Wladimir Kaminer Russendisko

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

freuen sich und bereiten sich auf langes Warten und<br />

Herumsitzen vor. Für viele Russen ist »Stalingrad« zu einer<br />

Beschäftigung für die ganze Familie geworden. Die Männer<br />

nehmen an den Schlachtszenen teil, die Frauen spielen<br />

Sekretärinnen in Chruschtschows Stab, und die Kinder hängen<br />

rum.<br />

Bevor die Liebesszene anfängt, wird erst einmal anständig der<br />

Stab bombardiert. Das ist bei Stalingrad so üblich. Ich muss<br />

mich während der Bombardierung hinter einem großen<br />

Küchenschrank verstecken und Angst haben. Der Schrank ist<br />

ein wertvolles Stück, richtig alt und mit Lorbeertüten<br />

vollgepackt, die russisch beschriftet sind. Die Lorbeerblätter<br />

ergeben in diesem Zusammenhang nur wenig Sinn, aber die<br />

Requisitentante kann die Beschriftung sowieso nicht lesen,<br />

Hauptsache es ist etwas Russisches. Die Bombardierung findet<br />

mit großem technischem Aufwand statt: Ein Techniker rüttelt<br />

den Küchenschrank, ein anderer schüttet Staub auf mich. Die<br />

Regieassistentin ist unzufrieden. »Sie sind nicht ängstlich<br />

genug«, meint sie. »Stellen Sie sich vor, heute könnte der letzte<br />

Tag Ihres Lebens sein. Können Sie nicht ein entsprechendes<br />

Gesicht machen? Nicht so steif!« »Für dreizehn Mark in der<br />

Stunde schneide ich doch keine Grimassen«, protestiere ich.<br />

»Es reicht schon, dass ich vollgestaubt hinter diesem<br />

Lorbeerschrank sitze. Für Grimassen haben Sie doch Roger<br />

Rabbit.« Ein Lohnkonflikt bricht aus. Ich werde schließlich<br />

ausgetauscht und gehe zu den anderen Statisten, die draußen<br />

Karten spielen.<br />

Die Fickszene wird als Schatten durch eine Zeltwand gedreht.<br />

Neben dem Zelt spielen wir, die Soldaten, Karten. Der<br />

bulgarische Zauberer zeigt uns ein paar Kartentricks und<br />

erzählt, wie ihn die Bundesregierung damals für DM 35 000<br />

aus dem bulgarischen Gefängnis freikaufte. »Ein guter Deal«,<br />

meint der Bulgare. Sein deutscher Kollege erwidert, das sei<br />

rausgeschmissenes Geld gewesen. Die Russen schweigen dazu<br />

107

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!