Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
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Alles klar, Gerät ist abgeholt und bereit. Der Film beginnt um<br />
19.00 Uhr. Zehn Minuten vor sieben bin ich schon im<br />
Zuschauerraum. Ich setze mich in die dritte Reihe, genau<br />
gegenüber von dem großen Lautsprecher, und bereite alles für<br />
die Aufnahme vor. Um sieben beginnt der Film. Er handelt von<br />
einer Revolution auf dem Mars. Der Herrscher des Mars,<br />
bewaffnet mit einem Glasmesser, rennt einer jungen Frau mit<br />
wackelndem Arsch hinterher, die Frau macht den Mund auf.<br />
Daraus sollen jetzt die Hilfeschreie kommen, aber vergeblich<br />
halte ich mein Mikro in der Hand. Der Film ist absolut still und<br />
stumm. So stumm, wie es nur russische Stummfilme aus dem<br />
Jahre 1924 sein können.<br />
Eine peinliche Situation. Im Saal herrscht Friedhofsstille. Ich<br />
nehme meine Sachen und gehe vorsichtig nach draußen, das<br />
Mikro in der Hand. Im Foyer werde ich von Mitarbeitern des<br />
Kinos ausgelacht. Sie hätten ja so tun können, als wäre nichts<br />
passiert. Es kommt schließlich nicht jeden Tag ein<br />
Rundfunkjournalist zu einem Stummfilm.<br />
Auf dem Weg nach Hause denke ich wieder über die<br />
Jugendkultur nach. Die Jugendlichen in der U-Bahn sehen für<br />
mich alle wie Beavis und Butthead aus. Zu Hause - MTV Björk<br />
weist mit dem Finger auf ein dickes Buch. Der Text auf dem<br />
Bildschirm lautet: Extra für diesen Clip hat Björk lesen gelernt.<br />
Drei Literaturredakteure haben mit Björk drei Monate lang<br />
gearbeitet. Tolle Leistung. Ich telefoniere wieder mit dem<br />
Zeitungskulturredakteur, er solle die Aufgabe etwas<br />
konkretisieren. Will er eine ernsthafte Untersuchung der<br />
Jugendkultur haben? Beschiss! Er meinte die Judenkultur, nicht<br />
die Jugendkultur. Am besten gehe ich heute noch einen trinken.<br />
Es war ein verlorener Tag.<br />
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