Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
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Nie wieder Weimar<br />
Auf Einladung der Literarischen Gesellschaft Thüringen fuhr<br />
ich zum ersten Mal in meinem Leben nach Weimar, um dort an<br />
einem Festival namens »Osteuropa im Wandel der Revolution<br />
und Konterrevolution« teilzunehmen. Zusammen mit zwei<br />
Dutzend anderen osteuropäischen Künstlern, Polen, Russen,<br />
Tschechen und Ukrainern. Unterwegs stellte sich bereits<br />
heraus, wie unterschiedlich unser Wandel war.<br />
Dementsprechend bildete unsere Gruppe eine ziemlich giftige<br />
Mischung. Nur der warme ukrainische Wodka sorgte für ein<br />
Minimum an Toleranz.<br />
Die deutsche Kulturhauptstadt sah aus wie ein Stück<br />
Sahnetorte in einer Mikrowelle oder wie eine riesige<br />
Ausstellung, die gerade eröffnet wurde. Trotz 37 Grad im<br />
Schatten besichtigten wir in drei Tagen alles, was die<br />
Kulturhauptstadt anzubieten hatte: die neu gestrichenen<br />
Baracken und restaurierten Öfen des KZs Buchenwald. Die 21<br />
staubigen Särge von Schiller und Goethe, die gegen ein<br />
Eintrittsgeld von DM 10,- auch zu besichtigen waren, ebenso<br />
ihre diversen Häuser. Dazu Hitlers private Kunstsammlung,<br />
das Nietzsche-Archiv und das Bienenmuseum sowie die<br />
Ausstellung zum Jubiläum des thüringischen Vorstehhundes.<br />
Überall wimmelte es von Touristen, in jeder Kneipe ein<br />
»Goethezimmer«, auf jedem Klo ein Erinnerungsschildchen.<br />
Wir rannten von einer Ausstellung zur anderen und traten<br />
zwischendurch auch noch selbst auf. Die restliche Zeit<br />
verbrachten wir mit Diskussionen über Kunst. Den drei<br />
Russen, die ich kennen lernte, gefiel besonders Anselm Kiefer,<br />
von dem einige Bilder im Weimarer Museum für moderne<br />
Kunst hingen. Die Russen fragten mich, wo der Künstler jetzt<br />
sei und was er mache. Ich hatte keine Ahnung, ich kannte nur<br />
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