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Wladimir Kaminer Russendisko

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Raus aus dem Garten der Liebe<br />

Ende der Achtzigerjahre traf ich mich oft mit anderen Jungs im<br />

Foyer des Moskauer Kinotheaters des wiederholten Films. Wir<br />

waren Hippies und hatten alle Spitznamen. Das Foyer auch,<br />

man nannte es »den Garten der Liebe«. Es hieß so, weil es dort<br />

im Winter immer warm war und das Kino kaum besucht<br />

wurde. Dort trafen wir uns fast jeden Tag und besprachen die<br />

wichtigsten Themen. Das interessanteste Thema damals waren<br />

nicht etwa Mädchen oder Drogen, sondern die Emigration.<br />

Unsere größten Helden waren jene, die es geschafft hatten,<br />

über die Grenze zu kommen. Irgendwie konnten wir uns mit<br />

diesen Menschen identifizieren, schließlich fühlten wir uns<br />

auch alle verfolgt, die Älteren von der Polizei, die Jüngeren<br />

von den Eltern. Bei meinem Freund, den wir Prinz nannten,<br />

wurde das Thema allerdings zur Manie. Er sammelte sämtliche<br />

Zeitungsberichte über Überläufer und klebte sie sorgfältig in<br />

eine Mappe. Er kannte sie alle, die schlaue DDR-Familie, die<br />

aus mehreren Klepper-Regenmänteln einen Heißluftballon<br />

genäht und damit die Grenze überflogen hatte, das Ehepaar aus<br />

Estland, das sich mit Gänseschmalz eingeschmiert hatte und<br />

hundert Kilometer weit nach Finnland geschwommen war.<br />

Zwei Tage waren sie im kalten Wasser, dafür aber dann den<br />

Rest des Lebens im sonnigen Finnland. Prinz kannte auch die<br />

Geschichte des Malers Sachanevich, der während einer<br />

Kreuzfahrt im Schwarzen Meer von einem Schiff gesprungen<br />

und so in die Türkei gelangt war. Er wusste von dem Bildhauer<br />

Petrov, der sich mit Bronze bemalt und für eine Statue<br />

ausgegeben hatte, die zu einer Ausstellung nach Paris geschickt<br />

wurde. Petrov verbrachte eine ganze Woche in einer Holzkiste,<br />

kam jedoch nie in Paris an. Bei einem Zwischenstopp in<br />

Amsterdam öffnete ein Zollbeamter die Kiste, weil ihr der<br />

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