Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
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In den Schützengräben von Stalingrad<br />
»Ich hätte eigentlich viel lieber einen deutschen Offizier<br />
gespielt«, sagt Grischa zu mir und stopft sich schwarzen Kaviar<br />
in den Mund. Grischa ist der einzige russische Schauspieler,<br />
der es geschafft hatte, eine einigermaßen vernünftige Rolle bei<br />
der Stalingrad-Verfilmung »Enemy at the Gates« zu<br />
bekommen. Er spielt einen sowjetischen Politoffizier, hat drei<br />
Drehtage und kassiert dafür DM 10 000,-.<br />
Grischa ist ein weiser Mann: »Man muss die Deutschen bei<br />
dieser komischen Filmproduktion in Schutz nehmen«, meint er.<br />
Wir sitzen im Chruschtschow-Stab, die Dreharbeiten sind<br />
gerade beendet. Gestern wurden hier »Die russischen Offiziere<br />
beim Frühstück« gefilmt. Im KaDeWe hatte die<br />
Requisitentante jede Menge Fisch sowie mehrere Kilo Kaviar<br />
zu DM 4000,- das Kilo gekauft und fünfzig Flaschen alten<br />
sowjetischen Champagner aufgetrieben. Mit diesen und<br />
anderen tollen Sachen wurde der Frühstückstisch voll gestellt.<br />
Doch die Schauspieler aßen und tranken nichts davon.<br />
Anschließend wurde die nächste Szene von der Requisite<br />
vorbereitet: »Die Russen haben gegessen.« Dazu verteilte man<br />
den Kaviar und die Fische gleichmäßig über den ganzen Tisch<br />
und manschte darin herum, als wären Wildschweine darüber<br />
gelaufen. Zu guter Letzt schütteten sie den Champagner über<br />
die Bescherung, damit auch dem Dümmsten klar wird: Hier<br />
haben die Barbaren mitten im Krieg eine Orgie veranstaltet.<br />
Nun stehen Grischa und ich an diesem Tisch und bedienen uns<br />
unauffällig, bevor alles im Mülleimer landet. »Die Deutschen<br />
müssen geschützt werden«, fährt Grischa fort, »weil sie damals<br />
doch eine ehrenvolle Niederlage erlitten haben. Jetzt haben wir<br />
wieder Ende Februar und draußen schon 14 Grad plus. In<br />
Stalingrad, bei minus 24 Grad, hatten sie es in ihren dünnen<br />
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