Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
Wladimir Kaminer Russendisko
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
jeden Tag die abscheulichen Essgewohnheiten von Sergej<br />
erdulden. Einmal versuchte er, heimlich ein paar von den<br />
Riesenschnecken zu retten. Er holte sie aus der Schüssel unter<br />
Sergejs Bett und versteckte sie im Schrank.<br />
Eines Tages bot Sergej seinem Vermieter an, er könne für<br />
ein paar Wochen nach Moskau ziehen, zu Sergejs Frau, um<br />
dort seine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Klaus besorgte sich<br />
sofort ein Visum und flog nach Moskau. Die Frau von Sergej<br />
hieß Mila und wusste von nichts. Sie besaß ein kleines Zimmer<br />
in einer Kommunalwohnung ohne Telefon, wo noch weitere<br />
fünf Familien lebten. Es war eine sehr lebendige<br />
Kommunalwohnung mit drei Gasherden in der Küche, einem<br />
Klo und vielen schreienden Kindern auf dem Korridor. Doch<br />
als Klaus eintraf, wirkte die Wohnung fast leer. Eine alte Frau<br />
war gerade gestorben, ein allein lebender Bademeister wegen<br />
Diebstahls verhaftet worden, und die Kinder waren mit ihren<br />
Eltern in die Ferien gefahren. Nur ein Polizist, der eifersüchtige<br />
Liebhaber von Sergejs Frau, war zu Hause, als Klaus<br />
aufkreuzte. »Guten Tag! Ich komme aus Deutschland, und<br />
jetzt, mein kleiner Freund, zeige mir, wo Mila wohnt«, sagte<br />
Klaus zu ihm. Der Mann antwortete nichts, ließ den Gast<br />
herein, zeigte ihm das Zimmer von Mila und verschwand in<br />
seinem eigenen. Klaus, der nach der langen Reise müde war,<br />
schlief bald ein. Abends kam Mila aus der Bibliothek, in der<br />
sie arbeitete, und ging sofort zu ihrem Liebhaber aufs Zimmer.<br />
Am Morgen hatten beide einen Streit gehabt wegen Milas in<br />
Deutschland verschollenen Mannes. Der Polizist hielt Klaus für<br />
einen Nebenbuhler, und als Mila abends sein Zimmer betrat,<br />
machte er ihr erneut Vorwürfe. Sie stritten sich derartig heftig,<br />
dass der Polizist schließlich eine Axt nahm und Mila erschlug.<br />
Anschließend verschloss er die Tür von außen und<br />
verschwand. Zwei Tage verbrachte Klaus allein in dem<br />
fremden Zimmer, bis er Blut auf dem Boden entdeckte. Es kam<br />
durch die dünne Trennwand aus dem Nebenzimmer. Klaus<br />
93