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Wladimir Kaminer Russendisko

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fotografieren, das Lieblingsklischee für die Darstellung des<br />

osteuropäischen Intellektuellen: ein Fremder, doch irgendwie<br />

einer wie du und ich. Ich muss 23-mal die Schönhauser Allee<br />

hin und her laufen. Und es klappt immer noch nicht. Die<br />

Menschenmenge erkennt sofort den Mann mit der Kamera und<br />

rennt auseinander. Schließlich ändert Karsten seine Taktik. Er<br />

versteckt sich in der Menschenmenge und wartet auf eine<br />

günstige Gelegenheit. Dabei wird ihm sein Handy geklaut.<br />

Nach zwei Stunden bin ich wieder zu Hause. Im Fernsehen<br />

gehen Beavis und Butthead ins Kino. Okay, Jungs, ich bin<br />

wieder da, es kann losgehen, die Jugendkultur also. Ich, Beavis<br />

und Butthead kucken uns den Clip von der Gruppe Prodigy an.<br />

Irgendetwas ist da mit dem Koffer passiert, er rollt runter zum<br />

Fluss und acht verschwitzte Männer rennen ihm hinterher. Sie<br />

fallen dann alle in den Fluss, Ende der Geschichte. Die dicken<br />

Schwarzen setzen ihre Runden um den Baum fort. Der eine<br />

von ihnen verblutet. »Warum springt er so rum?«, fragt<br />

Butthead. »Ich weiß nicht«, sagt Beavis, »vielleicht hat man<br />

ihm die Sonderausgabe von Spiegel spezial über<br />

osteuropäische Intellektuelle in den Arsch gesteckt.<br />

HAHAHA! Und angezündet. HIHIHI!«<br />

Das Telefon klingelt. Der Rundfunkredakteur von der<br />

russischen Redaktion »MultiKulti« erzählt, dass heute Abend<br />

im Kino Arsenal der erste sowjetische Science-Fiction-Film,<br />

»Aelita«, aus dem Jahre 1924 gezeigt wird. Ich solle darüber<br />

berichten und unbedingt Originaltöne liefern. Das<br />

Aufnahmegerät und ein Mikro liegen beim SFB schon bereit,<br />

ich muss die Sachen nur abholen.<br />

Die 45 Minuten in der U-Bahn widme ich ein paar Gedanken<br />

zur Jugendkultur. Null Ergebnis. Ärgerlich, ich habe zu diesem<br />

Thema gar nichts zu sagen. Der Junge gegenüber blättert in<br />

einer Zeitschrift und grinst. Das ist es! Die Jugendkultur! Ich<br />

setze mich zu ihm und frage ihn, was er da Schönes liest. Einen<br />

Ikea-Katalog.<br />

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