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Wladimir Kaminer Russendisko

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Der Radiodoktor<br />

Die in Berlin lebenden Russen trauen deutschen Ärzten nicht.<br />

Sie sind zu selbstsicher, wissen immer Bescheid, noch bevor<br />

der Patient ihre Praxis betritt, und für alle Krankheiten der<br />

Welt haben sie sofort die richtige Medizin auf Lager, für alle<br />

Probleme des Patienten eine Lösung. Das geht doch nicht! Ein<br />

Arzt, der den Russen genehm ist, muss die Furcht des Patienten<br />

vor seiner Krankheit teilen, ihn trösten, ihm Tag und Nacht<br />

beistehen, sich alle Geschichten über seine Frauen, Kinder,<br />

Freunde und Eltern anhören und mit der Diagnose, die sich der<br />

Kranke selbst stellt, möglichst einverstanden sein. Ganz<br />

wichtig ist auch: Er muss gut Russisch können, sonst kann er<br />

die Tiefe des Leidens nicht nachvollziehen. Deswegen suchen<br />

sich die kranken Russen stets einen russischen Doktor. Er lässt<br />

sich überall leicht finden.<br />

In Berlin gibt es sie für jeden Fachbereich: Zahnärzte und<br />

Gynäkologen, Röntgenologen und Psychologen, Dermatologen<br />

und Kardiologen. Der Berühmteste von allen ist der so<br />

genannte Radiodoktor. Mit Radiologie hat der Mann nichts zu<br />

tun, er heilt die Menschen hier per Rundfunk, indem er jeden<br />

Montag um halb sieben mit seiner Sendung »Die Ratschläge<br />

eines Doktors« beim SFB 4 »Radio MultiKulti« in russischer<br />

Sprache auftritt. Der Radiodoktor ist ein alter Mann, der vor<br />

ein paar Jahren aus einer ukrainischen Kleinstadt nach Berlin<br />

gezogen ist. In den Sechzigerjahren arbeitete er dort in einem<br />

Krankenhaus. Nun rettet er mit seinen wertvollen Erfahrungen<br />

Menschenleben per Funk.<br />

Seine Sendung fängt immer auf die gleiche Art an: »Viele<br />

unserer Hörer beschweren sich wegen ständiger<br />

Kopfschmerzen. Ich weiß nicht, wie das heute erklärt wird,<br />

aber bei uns damals in der Ukraine gab es dafür nur zwei<br />

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