BK-Heft 2/2012 - Baukammer Berlin
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Bau 2-12 Umbruch 3 20.06.<strong>2012</strong> 14:46 Uhr Seite 49<br />
Lebendige Geschichte:<br />
erstes Reihenleuchtenmodell noch mit<br />
Leitereisen vor historischem Gasbehälter<br />
Fotos:<br />
Bertold Kujath – Gaslicht-Kultur e.V.<br />
plett durch ein denkmalgeschütztes<br />
Siedlungsensemble verläuft. Und mit der<br />
Windscheidt- und Holtzendorffstraße<br />
wurden in zwei Straßen, die Bestandteil<br />
der bei in- und ausländischen Touristen<br />
sehr gefragten Gaslichttour des Vereins<br />
Gaslicht-Kultur sind, die Abrissarbeiten<br />
sogar noch um ein Jahr vorverlegt. Kultur-<br />
und Bürgervereine waren zu dieser<br />
Pressekonferenz übrigens nicht zugelassen.<br />
Um endlich den Gasbeleuchtungsabbau<br />
mit einer breiten Öffentlichkeit zu diskutieren,<br />
veranstalteten die Deutsche Stiftung<br />
Denkmalschutz und der Denkmalpflegeverein<br />
Denkmal an <strong>Berlin</strong> am<br />
21.05.<strong>2012</strong> eine Podiumsdiskussion, an<br />
der jeweils ein Vertreter der Senatsverwaltung<br />
für Stadtentwicklung, des Landesdenkmalamts<br />
<strong>Berlin</strong>, des Landesdenkmalrats<br />
<strong>Berlin</strong>, des Bürgervereins<br />
Frohnau und des Vereins Gaslicht-Kultur<br />
beteiligt waren. Hier wurde deutlich, dass<br />
im Regelfall weißes Licht aus Leuchtstoffröhren<br />
das traditionelle Gaslicht<br />
ersetzen soll. Denn die vielgerühmte LED<br />
Technologie wird aus Kostengründen nur<br />
in Einzelfällen eingesetzt. Hinsichtlich<br />
der ökologischen Begründung des Gasleuchten-Abbaus<br />
forderte der Vertreter<br />
des Landesdenkmalrates Nikolaus Bernau<br />
eine ökologische Gesamtbilanz, in<br />
die Ressourcenverbrauch und Emission<br />
von Neuproduktion und Baustellenverkehr<br />
ebenso einzubeziehen seien wie die<br />
Auswirkungen der weiteren Zunahme<br />
elektrischen Lichts. Was die Kostenberechnungen<br />
betrifft, so ist das Einsparpotenzial<br />
durch die Elektrifizierung ebenso<br />
wie ihre Amortisation strittig. Dass die<br />
Ersatzteilversorgung für Gasleuchten<br />
schwierig sei, wie behauptet, entbehrt<br />
jeder Grundlage. Die zurzeit laufende<br />
vollständige Rekonstruktion der historischen<br />
Gasbeleuchtung in der Prager<br />
Innenstadt erfolgt mit Bauteilen und<br />
technischem Knowhow einer Firma aus<br />
<strong>Berlin</strong>. Lediglich die Glühkörper müssen<br />
derzeit importiert werden, wobei eine<br />
solche Produktion durchaus auch wieder<br />
in <strong>Berlin</strong> angesiedelt werden kann - den<br />
entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt.<br />
Eine Produktion spezieller<br />
Bauteile nur für den Bedarf des Denkmalbereichs<br />
zu betreiben, sei durchaus<br />
üblich, so Nikolaus Bernau vom Landesdenkmalrat.<br />
Noch besitzt <strong>Berlin</strong> mit seiner Gas-Straßenbeleuchtung<br />
einen Schatz mit Potential<br />
zum Welterbe, den es hüten sollte<br />
und für dessen Weiterentwicklung, so<br />
Elisabeth Ziemer, stellvertretende Vorsitzende<br />
von Denkmal an <strong>Berlin</strong> e.V., auch<br />
Barbaren haben immer die Sachlogik auf<br />
ihrer Seite. Der <strong>Berlin</strong>er Senat hat<br />
beschlossen, die überkommenen Gaslaternen<br />
der Stadt sukzessive durch elektrische<br />
Lampen zu ersetzen – weil ihre<br />
Wartung weniger koste, weil auch Strom<br />
billiger sei als Gas, weil schließlich die<br />
Energieausbeute und also die Ökobilanz<br />
besser seien. Das Geld und die Umwelt,<br />
das sind die harten Argumente für die<br />
Politiker unserer Tage; mit Ästhetik, Tradition<br />
oder gar sentimentalen Werten<br />
kann man ihnen nicht kommen.<br />
Das sanfte Gaslicht, das sich in der Dämmerung<br />
mit feinem Sirren einschaltet und<br />
im Betrieb von jenem leisen Zischen<br />
begleitet wird, das in der Literatur des 19.<br />
Jahrhunderts so oft beschrieben wurde,<br />
ist der letzte Ausweis der untergegangenen<br />
Metropolenkultur Europas. Muss<br />
man <strong>Berlin</strong>er sein, um sein Verschwinden<br />
als Schaden für das Stadtbild, als Heimatverlust,<br />
als letzte brutale Modernisierung<br />
im Geiste einer technokratischen<br />
Zukunft zu empfinden? Schneeflocken,<br />
wenn sie im Gaslicht tanzen, verwandeln<br />
sich in goldenen Sternenstaub, Regentropfen<br />
bekommen einen Kometenschweif.<br />
Und die banalen Fassaden,<br />
denen Krieg und Nachkrieg den<br />
Schmuck geraubt haben, gewinnen noch<br />
einmal die Illusion von Pilastern, steiner-<br />
Lebendiges Licht<br />
Denkmalschutz und -pflege<br />
zu forschen lohne. Und dabei geht es<br />
nicht nur um einzigartige Laternen. Die<br />
Gas-Straßenbeleuchtung ist Bestandteil<br />
eines industrie-historischen Erbes, das<br />
bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und<br />
aus dessen Frühzeit, als <strong>Berlin</strong> eines der<br />
Zentren der europäischen Gasversorgungsindustrie<br />
war, noch weitere gasindustrielle<br />
Einrichtungen wie Gasbehälter<br />
und Verwaltungsgebäude existieren. Die<br />
Vereine Denk-mal-an-<strong>Berlin</strong> und Gaslicht-Kultur<br />
haben deshalb eine Online-<br />
Petition gestartet, die von allen namhaften<br />
Kulturorganisationen wie Europa<br />
Nostra, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz<br />
oder auch der <strong>Baukammer</strong><br />
<strong>Berlin</strong> unterstützt wird. Die Petition richtet<br />
sich gegen den geplanten nahezu<br />
vollständigen Abriss der <strong>Berlin</strong>er Gas-<br />
Straßenbeleuchtung und kann unter<br />
www.Gaslicht-ist-<strong>Berlin</strong>.de unterzeichnet<br />
werden.<br />
Der <strong>Berlin</strong>er Senat will die Gaslaternen abbauen.<br />
Jens Jessen<br />
Foto: Traichel<br />
<strong>Baukammer</strong> <strong>Berlin</strong> 2/<strong>2012</strong> | 49