950 Jahre Kleinrinderfeld 1060 - 2010 Festschrift - Gemeinde ...
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Neben den Familienangehörigen haben auch die<br />
Nachbarn, die einen sehr kleinen Hof mit höchstens ei-<br />
nem Hektar Grund und Boden besaßen, über einen längeren<br />
Zeitraum kontinuierlich auf den Feldern der Borst<br />
gearbeitet. Hermann Borst zahlte diese Arbeitsleistung<br />
der Nachbarn nicht mit Geld aus, sondern er bearbeitete<br />
die Felder des benachbarten Kleinsthofes mit, stellte dazu<br />
die eigenen Geräte zur Verfügung und verköstigte die<br />
Helfer. Für den mithelfenden Nachbarssohn, der vom achten<br />
Lebensjahr bis zum Ende der Schulzeit am Simonshof<br />
beschäftigt war, bedeutete die Arbeit auf den Borstschen<br />
Äckern im Rückblick so etwas wie der Verlust der Kindheit:<br />
Wenn seine Spielkameraden zum Sport gingen, musste er<br />
auf den Acker. Er arbeitete gewöhnlich von 12 bis 18 Uhr,<br />
danach gab es reichhaltige Vesper in der Stube, zubereitet<br />
von Elisabeth Borst. Wenn er benötigt wurde, klopfte<br />
Elisabeth Borst an das Fenster des Nachbarhofes, in den<br />
Schulferien geschah dies bisweilen schon um vier Uhr in<br />
der Früh.<br />
Auch die Verwandten unterstützten die Borst bei<br />
Bedarf. Knechte oder Mägde scheinen zumindest in den<br />
1920er und 1930er <strong>Jahre</strong>n nicht am Hof gearbeitet haben.<br />
Nur zur Erntezeit oder an den Dreschtagen reichten die<br />
vorhandenen Arbeitskräfte nicht mehr aus, dann wurden<br />
Tagelöhner angestellt. Eine Gewährsperson kann sich an<br />
Helfer erinnern, „kernige Männer“, wie sie sagte, die beim<br />
Dreschen sogar zwei Zentner schwere Getreidesäcke<br />
durch das ganze Wohnhaus in den als Getreidespeicher<br />
fungierenden Dachboden geschleppt haben. Die Dreschmaschine<br />
lief von fünf Uhr bis elf Uhr und von zwölf Uhr<br />
bis 18 oder 19 Uhr. Der Mähbinder hat derweil das Stroh<br />
gebunden, das dann in den Scheunenboden geschafft<br />
wurde.<br />
Es schien nicht schlecht bestellt zu sein um die Zukunft<br />
des Simonshofes. Der junge Hofinhaber machte seine<br />
Sache gut, er hatte auch eine Freundin – gemeinsame Zukunftspläne<br />
waren vielleicht schon geschmiedet. Doch es<br />
kam anders. Die Einberufung Hermann Borsts zum Kriegseinsatz<br />
im Zweiten Weltkrieg bedeutete einen schweren<br />
Schlag für den Simonshof, es fehlte der Hauptverantwortliche<br />
und zudem einer der wichtigsten Arbeitskräfte. Ausgeglichen<br />
wurden dieser Verlust durch den Einsatz4 von<br />
„Zwangsarbeitern“, Kriegsgefangene, die vom nationalsozialistischen<br />
Regime zu landwirtschaftlichen oder industriellen<br />
Arbeiten gezwungen wurden. In <strong>Kleinrinderfeld</strong><br />
kamen Zwangsarbeiter bei insgesamt 31 Bauern sowie<br />
in den Steinwerken und bei der Forstverwaltung zum Einsatz.<br />
Ein belgischer und ein französischer Zwangsarbeiter<br />
wurden dem Simonshof zugeteilt, auch eine Polin hat im<br />
Haus mitgeholfen. Anfangs übernachteten sie noch in<br />
einem Wohnlager an der Straße nach Kist, später wohnten<br />
sie jedoch im Obergeschoß des Simonshofes.<br />
Hermann Borst kam aus dem Krieg nicht mehr zurück,<br />
er ist in Russland vermisst. Dies war der Anfang vom Ende<br />
des landwirtschaftlichen Betriebes auf dem Simonshof.<br />
Nach dem Krieg ist die bäuerliche Arbeit noch eine Weile<br />
von einem Breslauer Flüchtling ausgeführt worden, der<br />
mit seiner Mutter und einem Kind auch in dem Haus<br />
wohnte und nebenbei auf dem Hof einen Pferdehandel<br />
betrieb. Doch 1953 war es damit auch vorbei, der Hof<br />
wurde aufgegeben.<br />
Fortan lebten nur noch die Mutter des kriegsvermissten<br />
Hofbesitzers, Elisabeth Borst, mit ihrer Tochter Hildegard<br />
auf dem großen Hof, die Felder wurden an Bauern im<br />
Dorf verpachtet. Nach dem Tod der Mutter im <strong>Jahre</strong> 1959<br />
wohnte die Tochter schließlich alleine im Haus. Daran sollte<br />
sich bis zu ihrem Tod im <strong>Jahre</strong> 1991 nichts ändern.<br />
Hildegard Borst war in ihrer Jugend „ein kluges und<br />
schönes Mädle“ (Zeitzeugin Emilie Michel, Wolkshausen),<br />
sie war lebenslustig und ging mit ihrer Cousine Emmy<br />
Michel oft ins <strong>Kleinrinderfeld</strong>er <strong>Gemeinde</strong>haus oder nach<br />
Wolkshausen, wo die Verwandtschaft eine Gastwirtschaft<br />
betrieb, zum Tanz. Das Schicksal ihres Bruders hat sie nur<br />
schwer verwinden können. Noch in den 1960er <strong>Jahre</strong>n<br />
rechnete sie fest mit seiner Rückkehr und verband damit<br />
die Hoffnung auf die Fortsetzung der Hofbewirtschaftung.<br />
Dieser Glaube an die Rückkehr des Bruders war nach Aussage<br />
der Befragten ein Grund dafür, dass sie im Haus keine<br />
Veränderungen duldete und das Inventar nicht veräußerte.<br />
Erst sehr spät und aufgrund bürokratischer Zwänge hat<br />
sie Hermann Borst für tot erklären lassen.