950 Jahre Kleinrinderfeld 1060 - 2010 Festschrift - Gemeinde ...
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Ihr häusliches Alleinsein kompensierte die im Alter<br />
sensibel und leicht verletzbar gewordene Hildegard Borst<br />
mit schon fast ritualisierten Besuchen bei Nachbarn und<br />
Bekannten im Dorf, wo sie einen Plausch hielt oder sich im<br />
Winter aufwärmte. Ins Haus selbst ließ sie dagegen kaum<br />
jemanden herein. Und diejenigen, die Zugang hatten, bekamen<br />
in der Regel nur den Wohnbereich im Erdgeschoß<br />
zu sehen, die Gute Stube im Obergeschoß war auch für<br />
diesen Personenkreis tabu. Mit der fürsorglichen Behandlung<br />
der Möbel in der Guten Stube – gehegt, gepflegt und<br />
vor neugierigen Blicken ferngehalten – leistete Hildegard<br />
Borst der Mythenbildung im Dorf Vorschub. Noch zwei<br />
<strong>Jahre</strong> nach ihrem Tod wurde während der Vermessungsarbeiten<br />
im Haus von verschiedenen Dorfbewohnern der<br />
Wunsch geäußert, doch einmal die „schönen alten Möbel“<br />
dieser Stube sehen zu dürfen.<br />
In den letzten Lebensjahren beschränkte sich ihr<br />
Aktionsradius im Haus in der Hauptsache auf die Stube<br />
und die Küche im Erdgeschoß, selbst die Schlafkammer<br />
benutzte sie nicht mehr. „Die ist ja nicht mehr runter in<br />
den Keller, sie hat alles im Gang stehen gehabt. Die war<br />
bloß noch in diesen paar Räumen. Im Stall hat sie Sachen<br />
aufbewahrt, das Holz und alles war da drin und ihre<br />
Geräte. Aber gewohnt hat sie hauptsächlich im unteren<br />
Wohnzimmer. Die Couch, wo da kaputt ist, da drin hat sie<br />
geschlafen zuletzt, die ist gar nicht mehr ins Schlafzimmer<br />
gegangen. Die lag bloß noch in dem einen Raum, zum<br />
Kochen ging sie vielleicht noch ein wenig in die Küche,<br />
aber ich glaub’, auch das nicht mehr oft.“ (Zeitzeugin<br />
Emilie Michel, Wolkshausen) Auf dem zitierten Sofa wurde<br />
Hildegard Borst im September 1991 auch gefunden:<br />
Sie hatte einen Schlaganfall erlitten, dem sie nur wenige<br />
Tage später in einer Würzburger Klinik erlag.<br />
Dies bedeutete das Ende einer langen und glanzvollen<br />
Hofgeschichte. Heute, nach dem Abbau der Gebäude, erinnert<br />
fast nichts mehr an den Simonshof, der einst zu den<br />
größten und modernsten Höfen <strong>Kleinrinderfeld</strong>s zählte. Die<br />
Diskrepanz ist offenkundig: Ein Hof, der einst fortwährend<br />
im baulichen wie auch im gerätetechnischen Bereich modernisiert<br />
wurde und diesbezüglich immer auf der Höhe<br />
der Zeit gewesen ist, hatte zuletzt nur noch musealen<br />
Charakter. Der entscheidende Bruch in der Hofgeschichte<br />
kam mit dem Kriegsschicksal des Hofinhabers. Nachdem<br />
die eigenbrötlerische Schwester und Hofnachfolgerin den<br />
Hofzustand zunächst in der vergeblichen Hoffnung auf<br />
die Rückkehr des vermissten Bruders jahrzehntelang konservierte,<br />
war sie zu einem anschließenden Neubeginn<br />
des Hofbetriebes nicht mehr in der Lage. So blieb die Zeit<br />
stehen auf dem Simonshof, fast 50 <strong>Jahre</strong> lang.<br />
Die Präsentation des Simonshofes im<br />
Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim<br />
Mit der Übernahme des Simonshofes durch das Fränkische<br />
Freilandmuseum bot sich die einmalige Chance, das<br />
komplette und authentische Inventar einer vergangenen<br />
Zeit in seiner ursprünglichen Umgebung zu zeigen. 5 Insofern<br />
gab der vorgefundene Zustand den gewählten Zeitschnitt<br />
im Museum vor: die 1930er/1940er <strong>Jahre</strong>. Nach sorgfältiger<br />
Dokumentation am alten Standort in <strong>Kleinrinderfeld</strong><br />
wurden die einzelnen Räume wieder entsprechend eingerichtet.<br />
Aufgrund der im Fränkischen Freilandmuseum<br />
schon lange praktizierten Ganzteiltranslozierung – Wände<br />
werden hierbei in ganzen Teilen übertragen – konnten die<br />
teils aufwendigen Schablonenmalereien fast vollständig<br />
erhalten werden. Veränderungen baulicher Art erfolgten<br />
nur da, wo in allerjüngster Zeit Modernisierungen stattgefunden<br />
hatten: So wurde die alte Kaminsituation wiederhergestellt<br />
und auch die moderne Falzziegeldeckung<br />
durch eine Deckung mit historischen Biberschwanzziegel<br />
ersetzt.<br />
Die „Präsenz“ von Hildegard Borst, der letzten Bewohnerin,<br />
deren Lebensumfeld der Besucher hier unmittelbar<br />
erfährt, wird durch dezente Inszenierungen verstärkt: im<br />
Flur hängt ein Mantel am Haken, in der begehbaren Stube<br />
eine Jacke über dem Stuhl, ein Stock an der Lamperie,<br />
eine Handtasche am Sofa – alles (technisch fast unscheinbar<br />
gesichert) wie gerade erst abgelegt.