950 Jahre Kleinrinderfeld 1060 - 2010 Festschrift - Gemeinde ...
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eRlebt und aufGeschRIeben von heInz WebeR<br />
Der Schosters Adel<br />
Der Adel war ein etwas gedrungener Mann aus dem<br />
Geschlecht der „Falderlis“. Er war Junggeselle und hatte<br />
seine Werkstatt beim Klüpfels Leonhard. Wenn man das<br />
Haus betrat ging gleich links eine Tür in die Schuhmacherei<br />
vom Adel.<br />
Es war ein kleines Zimmer, ausgestattet mit einer<br />
alten handbetriebenen großen Nahmaschine und in der<br />
Mitte des Raumes stand der niedrige Schustertisch und<br />
dahinter saß der Adel auf einem dreibeinigen Hocker.<br />
Der Adel hatte eine große Kaiser Wilhelm Schnurre auf<br />
die er sehr stolz war und täglich öfters mit beiden Händen<br />
zwirbelte. Und noch etwas hatte der Adel, was uns als Kinder<br />
immer wieder beeindruckte: Er konnte mit den Ohren<br />
wackeln. Für seinen Kopf waren sie schon etwas größer<br />
ausgefallen als normal – vielleicht war das das Geheimnis<br />
seiner Fähigkeit. Stundenlang haben wir mit den tollsten<br />
Grimassen versucht das „Ohrenwackeln“ zu lernen, doch<br />
immer vergebens, was dem Adel ein diebisches Lächeln<br />
hervorzauberte und um uns zu animieren – wieder mit<br />
den Ohren zu wackeln.<br />
Der Adel war ein lustiger, manchmal auch listiger<br />
Zeitgenosse. Besonders das weibliche Geschlecht hat<br />
es ihm angetan und manchen Scherz gemacht, den wir<br />
aber damals nicht verstanden. Ein Späßchen dem wir<br />
auch gerne zusahen war, das Wasserspritzen. Unter dem<br />
Schustertisch stand immer ein Wännchen mit Wasser, das<br />
er zum Einweichen des Leders benötigte.<br />
Wenn nun eine Frau mit Rock (damals trug man als<br />
Frau noch keine Hosen) vor dem Tischchen stand und mit<br />
dem Adel diskutierte, warum die Schuhe noch nicht fertig<br />
waren, griff er schnell und versteckt in das Wännchen und<br />
schon hatte sie eine heftige Dusche an den Beinen. Die<br />
erschreckte Reaktion erfüllte ihn mit ganz großer Freude<br />
und unschuldig, aber recht verschmitzt genoss er seinen<br />
Erfolg.<br />
Als Kinder verbrachten wir, hauptsächlich im Winter,<br />
viele Stunden beim Adel. In der Werkstatt war es immer<br />
schön und warm und manchmal schliefen wir auf dem<br />
großen Schuhhaufen ein.<br />
Die Zeiten waren während und auch kurz nach dem<br />
Krieg schlecht und es gab nur geringe Zuteilungen von<br />
Leder. Aber die Schuhe mussten ja wieder hergerichtet<br />
werden wenn sie kaputt waren. Da wurden Reste aufgenäht<br />
und was uns besonders gut gefiel: Hufeisen auf die<br />
Absätze geschlagen, außerdem an die Spitzen halbrunde<br />
Eisen genagelt. Auf die Sohlen kamen, damit sie sich nicht<br />
so schnell abliefen, sechseckige Nägel mit kurzem Stift.<br />
Das waren die besten Vorrausetzungen zum „Horren“, auf<br />
Deutsch: „schlittern auf dem Eis“.<br />
Einen besonderen Kick hatten wir auch, wenn wir in<br />
die Kirche gingen zu den Bänkchen vorne am Altar. Das<br />
waren Geräusche auf den Fließen im Kirchgang als ob<br />
eine Herde wilder Mustangs in die Kirche kämen. Allein<br />
dieser Auftritt entschädigte uns für die manchmal sehr<br />
lang dauernde Andacht.<br />
Wenn die am Anfang erwähnte Nähmaschine nicht<br />
eingesetzt werden konnte, musste der Adel mit Zwirn von<br />
Hand nähen. Dazu musste der Zwirn besonders reißfest<br />
sein. Dafür hatte der Adel immer ein Stück Pech bereit. Im<br />
Normalzustand war der ganz hart. Um es verwenden zu<br />
können nahm der Adel ein Stück in die Hand und knetete<br />
es so lange, bis es weich wurde. Dann legte er es auf seine<br />
Lederschürze und wirkte den Faden so lange in dem Pech,<br />
bis er richtig fest war. Dieses Pech und die Verwandlung<br />
vom festen in den weichen Zustand haben es meinem<br />
Cousin Manfred und mir angetan. Das merkte auch der<br />
Adel. Eines Tages gab uns der Adel ein kleines Stück Pech<br />
und sagte, das müsst ihr eurer Mutter ins Bett legen, dann<br />
schmeckt (riecht) sie gut. Manfred nahm dann das Pech<br />
und legte es seiner Mutter ins Bett.<br />
Am nächsten Tag, als sie aufstehen wollte, war das<br />
Nachthemd am Bettlaken festgeklebt. Das Nachthemd<br />
und das Bettlaken waren kaputt. Es gab großen Ärger und<br />
entsprechende handgreifliche Bestrafung.<br />
Erst als Manfred erklärte, was der Adel gesagt hatte,<br />
ging Tante Marie zum Adel und was sie ihm geflüstert<br />
hatte, war nicht von schlechten Eltern.