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Jahresbericht 2011 - Cusanuswerk

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Bildungsveranstaltungenschwächsten Gegenden Südosteuropas und muß fast alle Waren des täglichen Bedarfsimportieren. Der Einmarsch der KFOR und die humanitären Aktionen des Westens habendort einen Arbeitsmarkt etabliert, wie man ihn – mit all seinen Implikationen – von Entwicklungsländernkennt.Staaten ohne BürgerWeder serbische noch kosovarische Studierende sprachen gut von ihren Regierungen.Sie wollen ihr Land verlassen, sobald sich eine Gelegenheit bietet. Sich selbst politischoder sozial für das Gemeinwesen zu engagieren, ist den meisten fremd oder scheint ihnenaussichtslos. Serbische und kosovarische Studierende gleichen einander auch in ihrer Geringschätzungoder Ablehnung der jeweils anderen. Sie formulieren ihre (Vor)Urteile undPolemiken ganz offen. Gemeinsam nach Lösungen für die in vielfacher Hinsicht ähnlichenProbleme beider Länder zu suchen, halten sie für abwegig. Es geht ihnen auch nicht umVersöhnung oder eine Auseinandersetzung mit den Kriegen der 1990er Jahre. Sie wollennichts mehr von diesen Kriegen hören. Sie wollen leben, wie andere Studierenden ebenauch. In Serbien ist politisches Engagement eher in einer anderen Generation anzutreffen,z. B. unter heute 50- bis 60-jährigen Intellektuellen, die noch im alten Jugoslawien sozialisiertwurden und sich durch sein Zerbrechen mit dem jähen Ende von Karrierewegen,politischen Überzeugungen oder Freundschaften konfrontiert sahen. Zu dieser Gruppezählen eine Reihe „starker Frauen“. Sie kämpfen für die Verfolgung der Kriegsverbrechenund die Enttabuisierung der Kriegstraumata, gegen den Nationalismus und für Gleichberechtigung,Demokratie und Transparenz. Darum gelten sie der öffentlichen Meinungals „Vaterlandsverräterinnen“, werden sie beschimpft und bedroht, führen sie ein Lebenunter Polizeischutz. Wir hatten das Glück, einige dieser Aktivistinnen bzw. ihrer Organisationenkennenzulernen und bekamen einen Eindruck von der tiefen Gespaltenheit desLandes und seiner Intellektuellen.So etwas wie eine „Bürgergesellschaft“ konnte sich in keinem der beiden Staaten entwickeln.Staat, Herrschaft und Gewalt fallen in eins. Daß es sich beim Staat um ein Gemeinwesenhandelt, das vom Bürger gestaltet werden kann und muß, ihm andererseits aber auchSicherheit und Schutz bietet, dafür sprechen weder die historischen noch die aktuellenErfahrungen der Menschen. Also hilft man sich – so gut es eben geht – selbst. Mit Blick aufdie wirtschaftlich desolate Lage und die Traumata der letzten Jahre und Jahrzehnte sprichtdie Menschenrechtlerin Sonja Biserko in Bezug auf Serbien gar von einer „neglected society“und so etwas wie einem „moralischen Vakuum“. Außerdem verharren beide Seiten,Serbien und Kosovo, in einem nahezu hermetischen, historisch-patriotisch aufgeladenenOpfer-Täter-Diskurs.Darum müssen auch diejenigen mit Anfeindungen rechnen, die die aktive Verfolgung derKriegsverbrecher betreiben – und zwar hier wie dort. Die EU machte die Auslieferung vonMladic und Hacic 2009 zur Bedingung der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mitSerbien. Kurz vor Erstellung des nächsten, entscheidenden Avis im Herbst <strong>2011</strong> wurdendie beiden nach Den Haag ausgeliefert – nach über zehn Jahren, in denen sie sich mehroder weniger unbehelligt im Land bewegen konnten. Zum Zeitpunkt unserer Reise hättekeiner unserer Gesprächspartner diese Auslieferung für wahrscheinlich gehalten: manglaubte an die guten Absichten der Regierung, welche wiederum an den alten Seilschaften104

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