Kundenkontakt – weniger Marktforschung - IAI
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Jahresthema<br />
T E C H N I K • W I R T S C H A F T • G E S E L L S C H A F T<br />
2 VDI nachrichten . 5. Oktober 2007 . Nr. 40 MEINUNG<br />
Standpunkt: Bernd Kriegesmann und Marcus Kottmann plädieren für die Verzahnung von Facharbeiterausbildung und Studium<br />
VDI nachrichten, Düsseldorf, 5.10.07, ws <strong>–</strong><br />
„Die Ausbildungsportfolios vieler<br />
Unternehmen sind rückständig!“<br />
Die beiden Bochumer Wissenschaftler<br />
Bernd Kriegesmann und<br />
Marcus Kottmann plädieren für<br />
eine Abkehr von den klassischen<br />
Strategien zur Begrenzung des<br />
Personalmangels. Sie fordern,<br />
„die praktische Überlegenheit<br />
einer Ausbildung im dualen System<br />
mit dem Theorieprimat der<br />
Hochschulen“ zu verzahnen.<br />
Nun ist es wieder soweit: In Deutschland<br />
erklingen die „Sirenen des<br />
Ingenieurmangels“. Wie in jeder<br />
konjunkturellen Aufschwungphase<br />
vergeht kein Tag, an dem sich nicht<br />
Diskutanten aus Politik, Verbänden<br />
und Unternehmen den Engpässen bei<br />
Ingenieuren widmen und vor Negativeffekten<br />
für das Wirtschaftswachstum<br />
warnen.<br />
Für das Jahr 2007 geht das Bundeswirtschaftsministerium<br />
von einer<br />
sechsstelligen Zahl nur mit Verzögerung<br />
oder gar nicht besetzbarer Stellen<br />
aus. Die damit in Verbindung<br />
gebrachten Wertschöpfungsverluste<br />
sollen nach geschätzten 3,5 Mrd. €<br />
im Jahr 2006 nun schon bis zu 1%<br />
des Bruttoinlandsprodukts betragen <strong>–</strong><br />
das entspräche einer Größenordnung<br />
von mehr als 20 Mrd. €.<br />
Entspannung ist auch künftig kaum<br />
zu erwarten. So werden im aktuellen<br />
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit<br />
Deutschlands Szenarien<br />
zur Entwicklung personeller<br />
Engpässe entwickelt, die selbst bei<br />
einer stark sinkenden Erwerbstätigkeit<br />
jährlich einen Mangel an Ingenieuren<br />
prognostizieren. Bei einem<br />
konstanten Erwerbstätigkeitsniveau<br />
werden bis zum Jahr 2014 sogar fast<br />
60.000 fehlende Ingenieure berechnet.<br />
Schnell sind dann gut gemeinte<br />
Vorschläge zur Lösung dieser Probleme<br />
zur Hand. Neben Forderungen,<br />
die Weiterbildungsanstrengungen in<br />
den Unternehmen zu forcieren, eine <strong>–</strong><br />
weitere <strong>–</strong> Bildungsoffensive zu starten,<br />
die Zahl der Studienabbrecher zu<br />
reduzieren oder mehr Frauen für<br />
technische Studiengänge zu begeistern,<br />
wird vor allem die Zuwanderungsdebatte<br />
<strong>–</strong> sieben Jahre nach der<br />
„Green-Card“ <strong>–</strong> wieder aufgelegt.<br />
Mit dualer Ausbildung<br />
gegen den Ingenieurmangel<br />
Waren die Erfolge der Maßnahmen<br />
zur Bekämpfung der letzten<br />
Fachkräftemangelwelle so erfolgreich,<br />
dass man sie weitgehend<br />
unverändert reproduzieren sollte?<br />
Eine ehrliche Bilanz liefert hierfür<br />
kaum überzeugende Anhaltspunkte.<br />
Und die Moral von der Geschicht’<br />
scheint „um die Lösung geht es<br />
nicht“. Was zu dieser defätistischen<br />
Einschätzung führt, ist die weitgehende<br />
Freizeichnung der Wirtschaft<br />
bei der Bewertung der Ursachen des<br />
Ingenieurmangels. Demgegenüber<br />
scheint weitgehend Konsens darüber<br />
zu herrschen, den Hochschulen mit<br />
Verweis auf mangelnde Praxisnähe<br />
die Hauptrolle für die Entstehung<br />
und die Hauptlast bei der Überwindung<br />
des Ingenieurmangels<br />
zuzuschreiben.<br />
Vor dem Hintergrund der lange<br />
bekannten Prognosen zur Kompetenzverfügbarkeit<br />
von Ingenieuren<br />
erscheint es aber doch gerade auf der<br />
Unternehmensseite überraschend,<br />
wenn Betriebe mit weit im Voraus<br />
erkennbaren Auftragsbeständen wie<br />
etwa im Flugzeug-, Containerschiffoder<br />
Kraftwerksbau erst vor der<br />
anstehenden Bearbeitung darüber<br />
nachzudenken beginnen, wie denn<br />
die Personifizierung der Auftragsabwicklung<br />
aussehen könnte.<br />
Die Autoren<br />
Marcus Kottmann ist Geschäftsleiter<br />
des Forschungszentrums für Personalentwicklung<br />
im Institut für Arbeitswissenschaft<br />
(IAW) der Ruhr-<br />
Universität Bochum.<br />
Prof. Dr. Bernd Kriegesmann ist Vorstandsvorsitzender<br />
des Instituts für<br />
angewandte Innovationsforschung<br />
(<strong>IAI</strong>) an der Ruhr-Universität Bochum<br />
und lehrt Betriebswirtschaftslehre an<br />
der Fachhochschule Gelsenkirchen.<br />
Der Beitrag ist ein Vorabdruck zum<br />
Positionspapier „Das Märchen vom<br />
Fachkräftemangel. Plädoyer für eine<br />
strategische Neuorientierung betrieblicher<br />
Ausbildungsportfolios zur Überwindung<br />
personell bedingter Innovations-<br />
und Wachstumsbarrieren“. MK<br />
www.iai-bochum.de.<br />
Man kann nur hoffen, dass das so<br />
„hoch entwickelte“ Risikomanagement<br />
in den Unternehmen auch diese<br />
weichen Faktoren mit harten Konsequenzen<br />
bald entdeckt.<br />
Neben ausgelösten Fehlsteuerungen<br />
im Ausbildungssystem hat die<br />
Akzentuierung (verbands-)politischer<br />
Lösungsstrategien auf den<br />
Hochschulbereich eine dramatische<br />
„Schattenseite“. Hierdurch wird der<br />
Beibehaltung überkommener Ausbildungsstrategien<br />
vieler deutscher<br />
Unternehmen Vorschub geleistet,<br />
deren Professionalisierung zur Sicherung<br />
der Wettbewerbsfähigkeit zu<br />
den originären unternehmerischen<br />
Aufgaben zu zählen ist.<br />
Anstatt nach neuen oder ergänzenden<br />
Lösungsmustern für personelle<br />
Engpässe zu suchen, verfolgen die<br />
meisten Unternehmen nach wie vor<br />
klassische Strategien zur Begrenzung<br />
des Personalmangels, ohne sich von<br />
ihren Wettbewerbern abzugrenzen.<br />
Sie versuchen, sich für die besten<br />
Absolventen am Arbeitsmarkt attraktiv<br />
zu machen, locken mit interessanten<br />
Vergütungsmodellen oder gehen<br />
mit Reparatur-Weiterbildung gegen<br />
die bemängelten Kompetenzdefizite<br />
an.<br />
Da alle Unternehmen im Gleichschritt<br />
agieren, steigt mit diesem<br />
Maßnahmenspektrum aber weder die<br />
Zahl der verfügbaren Ingenieure<br />
noch führt dies zur angestrebten<br />
Differenzierung und damit zur erfolgreichen<br />
Rekrutierung und Bindung<br />
von kompetenten Ingenieuren.<br />
Die Summe der Aufwendungen in<br />
diesem Bereich übersteigt allerdings<br />
die Mittel, die offensiv in Maßnahmen<br />
zur präventiven Sicherung der<br />
Kompetenzverfügbarkeit eingesetzt<br />
werden, um ein Vielfaches.<br />
Weil dies so ist und weil sich die<br />
Rekrutierungsprobleme in Deutschland<br />
nahezu strukturgleich wiederholen,<br />
scheint uns die Hypothese angemessen,<br />
dass der zu beobachtende<br />
Fachkräftemangel gar nicht vornehmlich<br />
aus der fehlenden Praxisnähe<br />
der Hochschulen resultiert,<br />
sondern aus einer strukturellen<br />
Lücke im Ausbildungsportfolio der<br />
meisten Betriebe.<br />
Die eigene Sicherung der Personalverfügbarkeit<br />
stagniert auf dem<br />
Niveau einer zunehmend von leistungsstarker<br />
Klientel abgekoppelten<br />
gewerblich-technischen Ausbildung,<br />
während in schöner Regelmäßigkeit<br />
bei jedem Aufschwung der Ingenieurmangel<br />
eskaliert.<br />
Fügt man die Befunde zur kontinuierlichen<br />
Höherqualifizierung in den<br />
Betrieben mit Beobachtungen zum<br />
„Brain-Drain“ im Bereich der dualen<br />
Ausbildung und der sich hartnäckig<br />
haltenden Kritik an fehlender<br />
Praxisnähe von Hochschulabsolventen<br />
zusammen, dann sind weite<br />
Teile der Wirtschaft offensichtlich<br />
seit geraumer Zeit mit Anforderungen<br />
konfrontiert, die nach<br />
neuen Lösungen im Verbund des<br />
bewährten Systems der gewerblich-technischen<br />
Ausbildung mit<br />
der akademischen Hochschulbildung<br />
verlangen.<br />
Dass man diese Problematik<br />
auch anders und ohne die öffentliche<br />
Inszenierung einer Mangelrepublik<br />
angehen kann, machen<br />
fortschrittliche Betriebe längst vor.<br />
Sie haben diese strukturelle Lücke<br />
im Ausbildungssystem als Profilierungschance<br />
erkannt und steuern<br />
das erfolgskritische Segment der<br />
Ingenieure selbst an.<br />
In Zusammenarbeit mit Hochschulen<br />
und Berufsakademien<br />
werden Studierende gleichzeitig<br />
mit einem Ausbildungsvertrag des<br />
Betriebes ausgestattet und verzahnen<br />
so die praktische Überlegenheit<br />
einer Ausbildung im dualen<br />
System mit dem Theorieprimat der<br />
Hochschulen. Als Absolventen<br />
sind diese jungen Menschen nach<br />
vier Jahren Facharbeiter und Ingenieur<br />
<strong>–</strong> und sehr begehrt.<br />
Obwohl dies so ist, wurden im<br />
vergangenen Jahr gerade einmal<br />
4.500 Ausbildungsverträge in<br />
dieser existenziellen Pipeline für<br />
ingenieurwissenschaftliche Berufsbilder<br />
geschlossen.<br />
Wenn also Politik und Wirtschaft<br />
dem Fachkräftemangel<br />
entgegentreten wollen, dann gilt es<br />
hier anzusetzen. Bei einer gleichbleibenden<br />
Erwerbstätigkeit werden<br />
bis 2014 jedes Jahr etwa 7.000<br />
Ingenieure zusätzlich benötigt. Das<br />
entspricht einer Größenordnung<br />
von nicht einmal 1,25 % der betrieblichen<br />
Ausbildungskapazitäten<br />
in diesem Lande.<br />
Sollten die Sirenen des Fachkräftemangels<br />
einen Funken mehr<br />
Wahrheit in sich tragen als ein<br />
Märchen, dann müsste es doch in<br />
einer gemeinsamen Initiative aus<br />
Wirtschaft, Wissenschaft und<br />
Politik gelingen, die zur Deckung<br />
dieser Lücke zusätzlich benötigten<br />
Ausbildungskapazitäten bereitzustellen.<br />
B. KRIEGESMANN/M. KOTTMANN<br />
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