Kundenkontakt – weniger Marktforschung - IAI
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Lifestyle-Management<br />
DEUTSCHLAND-AUSGABE HK2 München, Samstag/Sonntag, 05./06. Mai 2007 62. Jahrgang / 18. Woche / Nr. 99 / 1,80 Euro<br />
Seite V2/14 / Süddeutsche Zeitung Nr. 99 BERUF UND KARRIERE<br />
Samstag/Sonntag, 05./06. Mai 2007<br />
Arbeiten bis zum Umfallen<br />
Selbständige Handwerker können Beruf und Privatleben oft nicht trennen. Ein Projekt schafft Abhilfe<br />
94<br />
Von Alexandra Straush<br />
Thomas Rendenbach ist von klein auf in<br />
seinen Job hineingewachsen. Er hat den<br />
Sanitär-Heizungs- und Klima-Betrieb in der<br />
Eifelstadt Euskirchen vor acht Jahren von<br />
seinem Vater übernommen und der wiederum<br />
vom Großvater. Der 40-Jährige ist<br />
angespannt, stets bereit, seine Energie in<br />
Aktion umzusetzen. Fragt man ihn nach<br />
Stress, wiegelt er ab. Das Übliche eben.<br />
Doch er gibt zu: „Ich bin manchmal nervös,<br />
das überträgt sich dann auf die ganze<br />
Firma.“ Seine Frau Michaela wird da<br />
deutlicher: „Er stand ständig unter Anspannung,<br />
ich habe mir schon Sorgen um ihn<br />
gemacht.“<br />
Mal sind Aufträge<br />
kaum zu bewältigen,<br />
mal bleiben sie aus.<br />
Rendenbachs Situation ist symptomatisch<br />
für Firmenchefs in seinem Gewerk. Sie<br />
meistern ihren Alltag, aber sie zahlen dafür<br />
einen hohen Preis. Privatleben und Arbeitszeit<br />
sind nicht zu trennen, wenn der Chef<br />
nach 22 Uhr und am Wochenende zum<br />
Notdienst ausrücken muss. Störungen und<br />
Notfälle verhindern einen geregelten<br />
Ablauf, und die tägliche Arbeit ist eine<br />
Folge von Unterbrechungen: Während der<br />
Handwerksmeister gerade über einem<br />
Angebot brütet, ruft der Kunde an oder ein<br />
Monteur hat eine Frage. Auch in der<br />
Auftragsflaute ist keine Erholung angesagt.<br />
Denn dann stören bohrende Sorgen, ob der<br />
Umsatz auch stimmt, die Nachtruhe.<br />
Das Bochumer Institut für angewandte<br />
Innovationsforschung (<strong>IAI</strong>) hat bundesweit<br />
etwa 700 Fragebögen ausgewertet und kam<br />
zu einer bedenklichen Bestandsaufnahme:<br />
90 Prozent der befragten Betriebsleiter sind<br />
mit ihrem eigenen Gesundheitsverhalten<br />
unzufrieden. Weil eine Wochenarbeitszeit<br />
von mehr als 50 Stunden die Regel ist,<br />
geben 71 Prozent an, dass ihnen für ein<br />
gesundheitsbewusstes Verhalten einfach die<br />
Zeit fehle. Die Dauerbelastung bleibt nicht<br />
ohne Folgen. Etwa 43 Prozent der Betroffenen<br />
bekennen, dass sie wegen körperlicher<br />
Schmerzen <strong>weniger</strong> schaffen, 29 Prozent<br />
machen psychische Probleme für den<br />
Leistungseinbruch verantwortlich.<br />
Die Folgen des Raubbaus an der eigenen<br />
Gesundheit spürte Thomas Mager schon<br />
nach einem halben Jahr. Der Chef der Firma<br />
Wilhelm Lauterbach in Wuppertal schlief<br />
schlecht, träumte nachts von seinen<br />
Kunden. Schon Standardarbeiten kosten ihn<br />
übermäßig viel Konzentration, er vergaß<br />
Termine, in Rechnungen fehlten Posten.<br />
Man steht so unter Strom, dass man das<br />
erstmal gar nicht merkt“, fasst er die<br />
damalige Situation zusammen. Heute kann<br />
er wieder durchschlafen, dank eines<br />
Gesundheitscoachings, das das <strong>IAI</strong> gemeinsam<br />
mit dem Forschungszentrum für<br />
Personalentwicklung (FPE) und den<br />
Kliniken Essen-Mitte aus den Ergebnissen<br />
der Fragebögen entwickelt hat. Bisher<br />
richtet es sich nur an Betriebsleiter in<br />
Nordrhein-Westfalen, die Wissenschaftler<br />
Stress, lass nach: 90 Prozent der Handwerksmeister sind mit dem eigenen Gesundheitsverhalten unzufrieden. Foto: Argus<br />
möchten es in Zukunft aber deutschlandweit<br />
anbieten.<br />
Vor der Beratung steht die Bestandsaufnahme.<br />
<strong>IAI</strong>-Mitarbeiterin Mara Broszat<br />
besucht die Teilnehmer und analysiert ihren<br />
Alltag. Wie oft klingelt das Telefon? Wie<br />
ist die Arbeit organisiert? „Es wird viel zu<br />
wenig getrunken, hektisch gegessen und oft<br />
entstehen durch mangelnde Absprachen<br />
unnötige Verzögerungen im Arbeitsablauf“,<br />
beobachtet sie. In Form eines<br />
Intensiv-Coachings versuchen Broszat und<br />
ihre Kollegen den Firmenchefs eine<br />
gesündere Betriebsführung näher zu<br />
bringen. Dazu sind auch ihre Frauen<br />
eingeladen. Denn, das zeigt die Erfahrung,<br />
es ist meist die im Betrieb mitarbeitende<br />
Lebenspartnerin, die sich um das gesundheitliche<br />
Wohl der Männer kümmert.<br />
Sowohl bei Thomas Rendenbach als auch<br />
bei Thomas Mager gab die Partnerin für die<br />
Anmeldung zum Programm den entscheidenden<br />
Ausschlag.<br />
In der entspannten Atmosphäre eines<br />
Sporthotels und in einer Gruppe, die die<br />
Probleme teilt, werden die Ressourcen<br />
eines gesunden Lebens thematisiert:<br />
soziales Umfeld, Ernährung, Bewegung<br />
und Entspannung. Bei Nordic Walking,<br />
Wassergymnastik, Yoga oder beim<br />
gemeinsamen vollwertigen Kochen können<br />
die Teilnehmer ausprobieren, was ihnen gut<br />
tut und sich auch im Alltag umsetzen lässt.<br />
Außerdem stehen Betriebsorganisation und<br />
Zeitmanagement auf dem Programm.<br />
„Denn das Chaos auf dem Schreibtisch und<br />
in der Werkstatt hängt damit zusammen,<br />
wie man sich gesundheitlich fühlt“, sagt<br />
Broszat.<br />
Den Teilnehmern des ersten Durchgangs<br />
war vor allem der Austausch wichtig.<br />
So können gute Tipps von Leidensgenossen<br />
große Probleme lösen: Ein<br />
Handwerksmeister schafft sich Freiraum<br />
mit einem Anrufbeantworter, der den Ruf<br />
automatisch zum zuständigen Mitarbeiter<br />
mit Notdienst weiterschaltet.<br />
Nach dem Training<br />
Verfolgt der Coach die<br />
Umsetzung im Alltag.<br />
Ein anderer hat sein PDA, den tragbaren<br />
Computer, geschickt mit der Firmensoftware<br />
synchronisiert. Und nicht nur die<br />
Technik bringt Erleichterung: Schon ein<br />
zentrales Buch, das die Zettelwirtschaft<br />
im Büro ersetzt, verhindert hektisches und<br />
zeitaufwendiges Suchen oder den Verlust<br />
von Informationen.<br />
Die goldenen Regeln für die gesunde<br />
Betriebsführung könnten die Teilnehmer<br />
zwar nicht mit nach Hause nehmen,<br />
schränkt Mara Broszat ein, dafür aber<br />
neue Methoden für den Arbeitsalltag, ein<br />
kleines Kochbuch mit gesunden Rezeptideen<br />
und eine Liste mit individuellen<br />
Zielen. Thomas Mager hat sich viel<br />
vorgenommen: Er will mehr Arbeit an<br />
seine Mitarbeiter delegieren, auf dem<br />
Speiseplan stehen mehr Obst und Gemü-<br />
se, Brot wird selbst gebacken. Lebensgefährtin<br />
zum Yoga und einmal wöchentlich wollen<br />
sie Freunde sehen.<br />
Damit die guten Vorsätze das Wochenende<br />
überdauern, schließt sich zehn Wochen lang<br />
eine Betreuung durch das Projektteam per<br />
Mail oder Telefon an. Denn schon einfache<br />
Veränderungen im Alltag können auf<br />
Widerstand treffen: Eine Mittagspause lässt<br />
sich schwer durchsetzen, wenn die Kunden<br />
die Auszeit nicht akzeptieren wollen. Und die<br />
guten Vorsätze, die Terminplanung endlich<br />
mit dem Computer zu erledigen, helfen<br />
nichts, wenn die Planungssoftware ein Buch<br />
mit sieben Siegeln ist. Manchmal braucht es<br />
guten Rat oder noch mal eine Fortbildung,<br />
um bei der Stange zu bleiben. Die Bochumer<br />
Wissenschaftler sehen sich hier als Ansprechpartner.<br />
Den alten Trott aufzugeben, ist nicht einfach.<br />
Auf Rendenbachs Schreibtisch liegen<br />
immer noch die verräterischen Notizzettel,<br />
die er verschämt zur Seite schiebt. Und er<br />
muss sich schon ein wenig anstrengen, um<br />
sich an die Inhalte des Intensivwochenendes<br />
zu erinnern. Trotzdem ist Michaela Rendenbach<br />
sicher, dass das Coaching bei ihm viel<br />
bewirkt hat: „Mein Mann ist jetzt viel<br />
ruhiger, das genieße ich sehr.“<br />
Kontakt: Institut für angewandte Innovationsforschung<br />
e.V. (<strong>IAI</strong>), Buscheyplatz<br />
13, 44801 Bochum, Tel. 0234-971170,<br />
www.iai-bochum.de.