Jahresbericht 2011/2012 - Diakonie Württemberg
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Herausforderungen der heutigen Kinder- und Jugendhilfe Arbeitsbereich 1 17<br />
reagiert und diese in Konzepte umgesetzt. Früher gab es klassischerweise<br />
vier Angebote in der KJH: Heim, Kindergarten,<br />
Jugendarbeit, Schule. Heute gibt es rund 120 verschiedenen<br />
Angebotsformen.<br />
Sind die Veränderungen nur positiv?<br />
Oder welche Probleme gibt es dabei?<br />
Sie sind in vielen Bereichen positiv – weil sich die Hilfe an dem<br />
orientiert, was Kinder und Eltern vom Gemeinwesen brauchen.<br />
Allerdings wird die Frage der Finanzierung immer schwieriger.<br />
Die Kostenträger – also Kommunen und Landkreise – sind oft<br />
nicht bereit, die anfallenden Kosten voll zu decken. Da wir in<br />
der <strong>Diakonie</strong> „Überzeugungstäter“ sind, führen diakonische<br />
Träger manche Angebote, die sinnvoll und wichtig für Kinder<br />
und/oder Eltern sind, durch, obwohl sie nicht auskömmlich<br />
finanziert sind. Die Restmittel versucht man dann, durch<br />
Spenden, Fonds, Kirche oder <strong>Diakonie</strong> zu bekommen.<br />
Was sind die Folgen für hilfesuchende Kinder und Eltern?<br />
Wegen der mangelnden Finanzierung bekommen Kinder und<br />
Eltern oft nicht die Hilfe, die sie brauchen. So orientiert sich<br />
z. B. die Einsatzzeit von sozialpädagogischer Familienhilfe<br />
weniger am Bedarf als an dem, was von den Kostenträgern<br />
finanziert wird. 10 bis 12 Monate reichen eben oft nicht aus.<br />
Oder ein anderes Beispiel ist die Heimerziehung: Oft kommen<br />
Kinder viel zu spät ins Heim oder bleiben dort nur kurze Zeit –<br />
derzeit liegt die durchschnittliche Verweildauer im Heim bei<br />
eineinhalb Jahren. Das reicht nicht aus, die Kinder für die<br />
Zeit nach dem Heim zu stärken. Die Folge ist, dass sie oft<br />
zwischen Heim und Psychiatrie hin und her pendeln. Die<br />
Folgekosten sind also langfristig höher. Und genauso problematisch<br />
ist das Hin- und Herschieben zwischen den Systemen:<br />
Oft werden Jugendliche mit 17 Jahren in das Sozialhilfesystem<br />
geschoben und können dann nicht mehr pädagogisch<br />
ausreichend gefördert werden.<br />
Was bedeutet dies für die Träger?<br />
Mit welchen Schwierigkeiten haben sie heute zu kämpfen?<br />
Sie können oft nicht ein fachlich ganzheitliches Angebot<br />
machen. Ein Beispiel ist das betreute Jugendwohnen. Es ist<br />
kostengünstiger als ein Heim und für junge Menschen oft die<br />
bessere Lebensform. Früher hat der Träger die Kosten für<br />
Wohnung, Unterhalt und Betreuung von einem Kostenträger<br />
bekommen. Heute – nach Einführung von Hartz IV – bekommt<br />
der Träger noch die Kosten für die Betreuung. Alle anderen<br />
Kosten müssen die Jugendlichen mit Unterstützung der Träger<br />
bei verschiedenen Ämtern beantragen. Es wird also nicht<br />
gefragt, was ist sinnvoll, sondern, wer muss für die Kosten<br />
aufkommen. Die Träger müssen also heute viel mehr Einsatz<br />
bringen, um kostendeckend arbeiten zu können. Und der<br />
Anteil der Drittmittelfinanzierung wie Stiftungen und Fonds<br />
hat stark zugenommen.<br />
Wie unterstützt die Landeszentrale die Träger<br />
bei der Bewältigung der Probleme?<br />
Sie berät bei der Beschaffung von Geld durch Fonds oder<br />
Soziallotterien. Sie unterstützt Träger bei der Umsetzung von<br />
guten Ideen – also von der Idee zum Projekt. Sie begleitet<br />
und unterstützt bei Leistungs- und Entgeltverhandlungen.<br />
Wir stehen mit all unseren Trägern im ständigen Kontakt und<br />
können so Entwicklungsprozesse begleiten. Und wir vertreten<br />
das Thema KJH auf allen politischen Ebenen. Es gibt kein<br />
Gremium der KJH in Baden-<strong>Württemberg</strong>, in dem die <strong>Diakonie</strong><br />
nicht vertreten ist.<br />
Was muss sich noch (sozialpolitisch) ändern?<br />
Dringend notwendig ist, dass die Kinderrechte gestärkt<br />
werden. Das bedeutet, dass über die Rechte auf allen<br />
Ebenen informiert wird und dass es in allen Einrichtungen ein<br />
Beschwerdemanagement gibt. Wir sind gerade dabei zu überlegen,<br />
ob nicht regionale Ombudsstellen eingerichtet werden<br />
können, in denen sich Kinder und Eltern informieren und<br />
beschweren können. Es braucht eigenständige, unabhängige<br />
Instanzen, die die Rechte von Kindern besser gewährleisten.<br />
Und wir müssen in der Gesellschaft erreichen, dass der<br />
Anspruch „Kinder- und Familienfreundlichkeit“ für alle gilt,<br />
auch für Eltern und Kinder, die Unterstützung brauchen.<br />
Das geht nicht ohne Geld.<br />
Das Interview führten Peter Ruf und Markus Zeile