Jahresbericht 2011/2012 - Diakonie Württemberg
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Herausforderungen der Arbeitslosenhilfe heute Arbeitsbereich 2 21<br />
„Sie werden von der<br />
Gesellschaft ausgeschlossen“<br />
Interview mit Martin Maier, Leiter der Abteilung<br />
Integration und Existenzsicherung, und<br />
Klaus Kittler, Referent für Arbeitslosenhilfe<br />
In der Reportage sind Langzeitarbeitslose ehrenamtlich<br />
tätig – ist das üblich?<br />
Es ist nicht üblich, aber es wird immer häufiger. Denn Arbeitslose<br />
wollen unbedingt tätig sein – selbst wenn sie dafür keinen<br />
Lohn bekommen.<br />
Was sind die Gründe, dass sich immer mehr<br />
ehrenamtlich engagieren?<br />
Es gibt immer weniger Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose.<br />
Sie werden im Jobcenter als „Bezahlkunden“ angesehen –<br />
das heißt: Für diese Personen muss nur der Unterhalt bezahlt<br />
werden, es gibt aber keine aktiven Hilfen und keine Perspektive<br />
für diese Personen.<br />
Was bedeutet dies für Langzeitarbeitslose?<br />
Sie werden von der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Gesellschaft<br />
– in diesem Fall repräsentiert von der Bundesagentur<br />
für Arbeit – hat diese Menschen abgeschrieben. Man gibt<br />
ihnen keine Chance mehr, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren,<br />
für sie wird kein Aufwand mehr betrieben. Es wird weder<br />
versucht, sie an den Arbeitsmarkt heranzuführen, noch wird<br />
ihnen durch Sondermaßnahmen wie z. B. einen öffentlich<br />
geförderten Arbeitsmarkt Teilhabe ermöglicht.<br />
Stimmt also das Vorurteil nicht, dass Langzeitarbeitslose<br />
nicht arbeiten wollen?<br />
Dieses Vorurteil hat noch nie gestimmt. Das Beispiel mit dem<br />
Ehrenamt zeigt ja: Sie wollen unbedingt arbeiten, sie wollen<br />
und brauchen eine Beschäftigungsstruktur. Natürlich gibt es<br />
auch einige wenige Personen, die sich dem Arbeitsmarkt<br />
entziehen wollen, aber meistens sind das Menschen, die sich<br />
aufgegeben haben, weil sie keine Chancen mehr sehen. Abgesehen<br />
davon gibt es schwarze Schafe in allen sozialen Bereichen,<br />
man denke nur an Steuerhinterziehung.<br />
Was können angesichts dieser Tatsache diakonische<br />
Arbeitslosenhilfeträger noch leisten?<br />
Sie versuchen alles, um noch wenigstens einige Angebote für<br />
Langzeitarbeitlose zu ermöglichen. Denn das Markenzeichen<br />
diakonischer Arbeitslosenhilfe war und ist Beschäftigung mit<br />
gleichzeitiger psychosozialer Begleitung – wie ja auch die<br />
Reportage zeigt. Aber das wird immer schwieriger. Die Eingliederungsmittel<br />
für Langzeitarbeitslose wurden in den letzten<br />
beiden Jahren um 40 Prozent gekürzt – weitere Kürzungen<br />
sind 2013 geplant. Letztendlich sollen nur noch kurzfristige<br />
Aktivierungs-Maßnahmen für leicht am ersten Arbeitsmarkt<br />
wieder vermittelbare Personen angeboten werden. Das hilft<br />
Langzeitarbeitslosen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen<br />
nicht weiter. Der Bereich der langfristigen Beschäftigung<br />
auf dem zweiten Arbeitsmarkt wird zunehmend eingestellt.<br />
Die Bundespolitik wünscht keine öffentlich geförderte<br />
Beschäftigung. Und die kurzfristigen Aktivierungsmaßnahmen<br />
werden öffentlich ausgeschrieben – da können unsere Mitglieder<br />
mit ihren tarifgebunden Löhnen nicht mehr mithalten.<br />
Haben sich eventuell die Beschäftigungsunternehmen<br />
erübrigt, weil es immer weniger Arbeitslose gibt?<br />
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen nimmt nur wenig ab –<br />
jeder dritte Arbeitslose ist langzeitarbeitslos. Und ungefähr<br />
60 Prozent der Arbeitslosen leben von Hartz IV, weil sie immer<br />
nur kurzfristige Beschäftigungen oder Minijobs finden. In<br />
Deutschland leben rund 400.000 bis 800.000 Personen, die<br />
auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht vermittelbar sind und eine<br />
öffentlich geförderte Beschäftigung brauchen. Für die fühlt<br />
sich offensichtlich die Bundesagentur für Arbeit nicht mehr<br />
zuständig. Diakonische Träger bieten für diese Menschen aber<br />
dennoch, wenn es finanzierbar ist, sinnstiftende Tätigkeiten an.<br />
Wenn die Förderung so zurückgeht – welche Folgen hat<br />
das für die Beschäftigungsunternehmen?<br />
Ihre wirtschaftliche Situation wird immer schwieriger. Haben<br />
diese früher ihre Angebote zu 70 bis 80 Prozent aus öffentlichen<br />
Zuschüssen finanziert und 20 bis 30 Prozent selbst auf<br />
dem Markt erwirtschaftet, so hat sich das heute ins genaue<br />
Gegenteil verkehrt: Nun müssen sie 70 bis 80 Prozent erwirtschaften.<br />
Sie richten deshalb immer häufiger Integrationsbetriebe<br />
für Menschen mit Behinderungen ein. Oder sie gründen<br />
Tochterunternehmen, die privatwirtschaftlich aktiv werden wie<br />
Zeitarbeitsfirmen etc. Mit den Einnahmen dieser nichtdiakonischen<br />
Töchter subventionieren sie dann die diakonische Arbeit<br />
für Langzeitarbeitslose. Die Konsequenz ist, dass die Betriebe<br />
ihren Schwerpunkt verlagern und nicht mehr als reines<br />
Beschäftigungsunternehmen fungieren.<br />
Wie setzt sich die <strong>Diakonie</strong> für Langzeitarbeitslose ein?<br />
Die <strong>Diakonie</strong> als fachlich gut aufgestellter Wohlfahrtsverband<br />
versucht konstruktiv Einfluss auf die Politik zu nehmen. Dazu<br />
bringen wir konkrete Vorschläge ein. Wir brauchen einen