Jahresbericht 2011/2012 - Diakonie Württemberg
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8 Interview<br />
Dieter Kaufmann<br />
reduziert und beinahe abgeschafft. Wir haben auf landes- und<br />
bundespolitischer Ebene nicht nur klar widersprochen. Wir<br />
haben aus unseren Arbeitsfeldern aufgezeigt, wie nachweislich<br />
durch diakonische Hilfe Menschen eine Perspektive gefunden<br />
haben. Diese Menschen werden gebraucht. Es ist falsch,<br />
ihnen keine Teilhabe zu ermöglichen und sie aus dem Hilfesystem<br />
auszuschließen. Es ist dringend erforderlich, sie zu qualifizieren<br />
und vor allem ihnen geförderte Arbeitsplätze zu<br />
ermöglichen. Unsere Diakonischen Bezirksstellen stellen einen<br />
immer höheren Beratungsbedarf fest. Alleinerziehende und<br />
Familien, die von geringsten Löhnen leben müssen, kommen<br />
nicht zurecht. Wo Maßnahmen für Langzeitarbeitslose abgeschafft<br />
werden, fehlt den Betroffenen ein strukturierter Tagesablauf.<br />
Sie werden nicht erwartet, haben keine Aufgabe, oft<br />
sind sie orientierungslos. Dazu kommt die Überschuldung so<br />
vieler Haushalte. Wir haben zwei Mal die Situation auf eigene<br />
Kosten genau untersucht und festgestellt, dass die Überschuldung<br />
in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Derzeit gibt<br />
es nur für rund fünf Prozent der absolut Überschuldeten Beratungsangebote.<br />
Deshalb fordern wir nach wie vor, dass in<br />
einem Armuts- und Reichtumsbericht auch die Überschuldungssituation<br />
laufend erforscht und dass die Zahl der Beratungsstellen<br />
erhöht wird. Ein weiteres Thema ist das interkulturelle<br />
Engagement. Wir haben Fachstellen in vier Regionen,<br />
die unsere Einrichtungen und Dienste bei ihrer interkulturellen<br />
Orientierung begleiten. Auch das Projekt FairCare und der<br />
Integrationspreis mit einer sehr guten Beteiligung sind hier zu<br />
nennen. Wir haben einen guten Austausch mit Partnern in<br />
Osteuropa. Das gute Miteinander von Kulturen und Religionen<br />
ist Ausdruck des diakonischen Auftrags.<br />
Es ist falsch, Menschen keine Teilhabe zu ermöglichen<br />
Was hat der Verband bei diesen Themen erreicht?<br />
Kaufmann: Bei der Instrumentenreform wurde uns auf<br />
Bundesebene bestätigt, dass wir durch unsere Aktivitäten<br />
zumindest kleine Veränderungen erreichen konnten. Hier<br />
wurden wir als <strong>Diakonie</strong> als die wahrgenommen, die für die<br />
langzeitarbeitslosen Menschen eintreten, Ideen entwickeln<br />
und aus guten Erfahrungen auf die dadurch entstandenen<br />
Lebensperspektiven verweisen können. Zum Thema Inklusion<br />
gibt es viele Aktivitäten von uns als <strong>Diakonie</strong>. Viele machen<br />
sich auf den Weg. In Verbindung mit dem Evangelischen<br />
Schulwerk sind wir mit einem Modellprojekt „Inklusive Schulentwicklung“<br />
unterwegs, um zu überlegen, wie Inklusion in<br />
Regelschulen gestaltet werden kann. Das ist eine wichtige<br />
Herausforderung – dazu wollen wir unsere Schulen stärker<br />
gewinnen. Als weiteres Thema nenne ich unsere Beteiligung<br />
am Heimkinder-Entschädigungsfonds. Wir beraten und begleiten<br />
die Aufarbeitung in den Einrichtungen und unterstützen<br />
ehemalige Heimkinder bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte.<br />
Baehrens: Im Vorfeld der Landtagswahl haben wir uns mit<br />
unseren sozialpolitischen Vorstellungen eingebracht. Es freut<br />
uns, dass vieles davon in den Koalitionsvereinbarungen seinen<br />
Niederschlag gefunden hat. Bei vielen Themen werden wir in<br />
der Politik und der öffentlichen Verwaltung als Gesprächspartner<br />
wieder ernst genommen. Den Umstieg vom Zivildienst auf<br />
den Bundesfreiwilligendienst haben wir gut bewältigt. Wir sind<br />
inzwischen der Träger mit den meisten Bufdi-Stellen bundesweit.<br />
Natürlich können wir den Zivildienst nicht ersetzen, aber<br />
wir haben den neuen Dienst gut etabliert. Auch Menschen<br />
über 27 Jahre finden dort Entfaltungsmöglichkeiten – 70 von<br />
den rund 420 Bufdis sind über 27 Jahre alt. Und, wie gesagt,<br />
beim Thema Inklusion haben wir erste Hürden genommen.<br />
In welchen Politikfeldern konnten keine Erfolge<br />
erzielt werden?<br />
Baehrens: Womit wir nicht zufrieden sein können, ist die<br />
Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Wir hatten uns<br />
dafür stark gemacht, dass die Pflegebedürftigkeit nicht nur<br />
anhand der körperlichen Bedürftigkeit beurteilt wird. Vor allem<br />
die Bedürfnisse demenziell Erkrankter werden kaum berücksichtigt.<br />
Mit dem Pflegeneuausrichtungsgesetz ist nicht der<br />
notwendige große Wurf gelungen. Die stationäre Pflege wird<br />
weiter geschwächt, nachdem die Qualitätsanforderungen<br />
immer größer werden und die Vergütung nicht Schritt halten<br />
kann. So stimmt der geforderte Personalschlüssel – den wir<br />
unbedingt halten wollen – nicht mit der Refinanzierung überein.<br />
Außerordentlich schwierig sind auch die Vergütungsverhandlungen<br />
in der ambulanten Pflege. Da tun sich besonders die