15 HACKLÄNDER: REISE IN DEN ORIENTrasch durch die grüne Wasserstraße. Rechts und links sanken die Ufer fast bisauf den Wasserspiegel und schienen den Helden zu grüßen, dessen Name ausden unübersehbaren Ebenen, durch welche wir nun fuhren bis zu den fernstenEnden Europas gedrungen war. Zrinry und Sigeth hallte es in meiner Brust wider,als ich vorn am Schiff stand und s ei nem Brustbild zuschaute, das dieWellen zerteilte, wie vordem sein Arm die Türkenschwärme.Die felsigem Ufer des Stroms, welche uns mit kurzen Unterbrechungen bisPest so ziemlich zur Seite geblieben waren, verschwanden gänzlich und sehrlangweilige Flächen, bald mit Gras und Heide, bald mit niederem Laubwerkbewachsen, traten an ihre Stelle. Wir blieben noch eine Zeit lang auf dem Verdeckund sahen dem Treiben einiger für uns fremdartiger Vögel zu. Über unsflogen wilde Gänse, schwarze Pelikane und Löffelgänse hielten im Strom ihrFrühstück. Auch erblickte ich einen Seeadler, der dem Laufe des Schiffes, wiemit stolzer Verachtung zuschaute und sich alsdann hoch in die Luft aufschwang.Obgleich der Morgen sehr schön gewesen war, überzog sich der Himmel dochwenige Stunden nach unserer Abfahrt und ein sehr scharfer Wind nötigte unszum Rückzug in die Kajüte, wo uns ein starker Regen, der gleich darauf vomHimmel stürzte, Muße genug ließ, unsere Reisegesellschaft anzusehen, die wirklichheute äußerst interessant zusammengesetzt war. Die beiden Kabinen aufdem Verdeck hatte Lord Londonderry mit seiner Gemahlin eingenommen, weshalbdas Schiff oben ganz englisch aussah. Die 18 Leute seines Gefolges, Kammerdienerund Kammerfrauen, Kutscher, Köche, überrannten sich und die übrigenGäste beinahe mit ihren Teekannen und Beefsteakpfannen und hatten gegendie frischen regsamen Physiognomien der Ungarn ganz entsetzlich langweiligeGesichter. Seine Herrlichkeit war ein mittelgroßer Mann mit grauen Haaren, derden Hut beständig auf dem Hinterkopf hängend trug. Dabei aber sah er jedem,der ihm auf dem Verdeck begegnete, freundlich und sehr aufmerksam ins Gesicht.Die Lady, die schon hoch in den Vierzigen war, mußte in ihrer Jugendeine große Schönheit gewesen sein, <strong>von</strong> der man noch jetzt an ihr gut erhalteneRuinen entdeckte. Übrigens brauchte sie auch wahrscheinlich alle möglichenMittel, ihren Teint zu erhalten. Sie kam fast gar nicht an die Luft, denn in denfünf Tagen, wo wir mit ihr zusammen auf dem Schiff waren, hatte man sie nurdreimal auf dem Verdeck gesehen. Doch saß sie schon vom frühen Morgen anin großer Toilette in ihrer Kajüte, nahm Besuche an oder ließ sich <strong>von</strong> demHerrn Gemahl und ihrem Guide sagen, wo sie sich gerade befand, ohne derKAPITEL 1. FAHRT AUF DER DONAU VON REGENSBURG NACH GIORGEWO 16Gegend selbst einen Blick zu schenken. Unten in der großen Kajüte war derbekannte Emin Pascha, ein junger, sehr liebenswürdiger Mann, der außer seinerLandessprache Französisch und Englisch verstand und sich sehr gerne mit unsunterhielt. Er reiste in Begleitung seines Arztes, eines Italieners, nach Konstantinopelzurück. In Paris, London und Wien war er gewesen und hatte in diesenStädten Kriegswissenschaften studiert.Für und gegen das Reisen mit dem Dampfboot oder dem Wagen ist schonviel gesprochen worden. Der Wagen hat etwas Heimliches, etwas sehr Angenehmes,wenn man genießbare Reisegesellschaft trifft. Im Gegenteil aber, undich will nichts darüber sagen, weiß jeder wohl, welche Qualen ein unangenehmesGegenüber in dem engen Wagen verursachen kann. Auf dem Schiff ist dasganz anders. Den Passagieren, die uns nicht gefallen, geht man aus dem Wegund braucht in keine Berührung mit ihnen zu treten. Woher es aber auch kommt,daß man sich auf dem Schiff leicht isoliert und wenn man allein reist, oft sehrlangweilt.Wir hatten das Glück, gleich in Pest mit einer äußerst angenehmen Reisegesellschaftzusammenzukommen, mit welcher wir, bis zu unserem Abgang beiRustschuk, ich möchte sagen, eine große Familie ausmachten. Zu ihr gehörtender Pascha mit seinem Arzt, eine Baronin <strong>von</strong> B. aus Berlin, die Mutter des GrafenKönigsmark, preußischen Gesandten in Konstantinopel, eine liebenswürdigealte Dame, die sich aber auf der ganzen Reise unwohl befand und das traurigeSchicksal hatte, ihre Heimat nicht wiederzusehen, denn sie starb in Bujukdere.Ferner der österreichische Oberstleutnant <strong>von</strong> Philippovich, der mitEinwilligung seiner Regierung provisorisch in türkische Dienste getreten war.Ein gebildeter Offizier und praktischer Geschäftsmann. Schon früher hatte ersich das Verdienst erworben, eine Postroute <strong>von</strong> Belgrad nach Konstantinopeleinzurichten. Ihm gelang es, den Fürsten Milosch und den Paschas die Vorteileeiner bleibenden sicheren Straße durch ihre Provinzen begreiflich zu machen.Er veranlaßte das Aushauen <strong>von</strong> Wäldern und verstand es, selbst die Einwohnerzur Einsicht zu bringen, daß erst durch unverletzliche Heiligkeit des PostwesensVerkehr und Handel belebt und dadurch der Wohlstand der Bewohner verbürgtwerden könne. Man folgte seinem Rat und <strong>von</strong> der Tätigkeit dieses Manneszeugt die gegenwärtig geordnete Einrichtung, die eine regelmäßige Verbindungzwischen Wien und Konstantinopel möglich macht. Jetzt wollte er den Feldzuggegen Ibrahim Pascha mitmachen und war uns noch lange durch die Türkei und
17 HACKLÄNDER: REISE IN DEN ORIENTSyrien ein lieber Reisegesellschafter. Ein ungarischer Husaren-Offizier, der mitseiner Schwester nach Galatz reiste, ein junger Engländer, Namens Napier, einVerwandter des englischen Commodore, der Arzt des Lord Londonderry, einartiger alter Engländer, waren die Hauptbestandteile unserer Familie.Wir hielten uns sehr viel in der zweiten Kajüte auf, wo ein viel fremdartigeresLeben herrschte. Denn da waren Serben, Wallachen, Ungarn, Italiener,kurz eine ganze Musterkarte <strong>von</strong> verschiedenen Menschenarten. In einer Eckekauerten unbeweglich auf ihren Teppichen ein paar Juden aus Salonich, Vaterund Sohn, die ersten Leute, die wir in türkischem Kostüm sahen. Sie trugen lange,sehr schmutzige Kaftans und einen eben solchen Turban. Der Vater, schonein sehr alter Mann, hatte einen langen schneeweißen Bart, war aber äußerstmunter und sah recht gesund aus, wogegen des Sohnes bleiche Gesichtsfarbe,durch den kohlschwarzen Bart der sein Kinn umgab, noch schärfer hervorgehobenwurde. Sie waren Handelsleute und kamen aus Wien. Eine Jüdin ausBukarest, die ebenfalls hier war, hatte ihre neunjährige Tochter bei sich, einwunderschönes Mädchen. Feurigere braune Augen, als die kleine Skella besaß,hatte ich in meinem Leben nicht gesehen. Die meisten übrigen Passagierewaren Ungarn, die sich, wie ich auch schon früher sagte, durch Zuvorkommenheitgegen uns Fremde musterhaft auszeichneten. Von allen Seiten boten sieuns Tabak und Zigarren an und es machte ihnen viel Spaß, wenn wir für dieseund jene Sachen das bezeichnende Wort ihrer Landessprache hören wollten.Eine niedliche schlanke Ungarin lehrte mich unter anderem – szép léanyheiße ein h üb s c h e s M ä d c h e n und szeretlek i c h l i ebe di c h;czòk bedeute einen K uß und den Unterschied eines ungarischen czòk gegeneinen deutschen brachte sie mir später praktisch bei und ich muß gestehen,der schmeckte wie Tokaier gegen Rheinwein.In einer Ecke der Kajüte saß ein alter ärmlich gekleideter ungarischer Edelmann,der erschrecklich aus seiner kurzen Pfeife rauchte, oder Volkslieder sangmit sehr traurigen Melodien. Eine Strophe eines seiner magyarischen Lieder,das er oft sang, lauschte ihm meine hübsche Lehrerin ab und übersetzte sie mirfolgendermaßen:Gebe Gott, daß der UngarDie halbe Welt besäße,Und die mit seinem Blute gewonnene FreiheitNie gestehen müsse, daß sie geschmälert seiKAPITEL 1. FAHRT AUF DER DONAU VON REGENSBURG NACH GIORGEWO 18Der alte Herr merkte aber gleich, daß das Mädchen uns etwas <strong>von</strong> seinenLiedern verraten habe, denn er gab mir einen Wink, ich möchte zu ihm kommen,worauf er mir lächelnd in einem sehr holperichten Deutsch den bekanntenRat gab, ich solle mich vor dem Mädchen, besonders vor den ungarischen, inAcht nehmen nannte zum Beleg teilte er mir folgende Strophen mit. Ein altesVolkslied, das vielleicht seinen größten Wert durch die eigentümliche, ergreifendtraurige Melodie hatte, mit der er es mir später sang:Es reift schon die rote Zwetzschge <strong>von</strong> BistritzMein wirst du sein, meine süße Babi, nach zwei Wochen,Schon reift der wilde Apfel, die Braune ist wohl falscherSchon blüht die weiße Rose, die blonde ist mehr heimlichIch gehe bis ans Ende im Hofe einer schönen Frau,Unwillkürlich blicke ich in ein Fenster hinein,Ich sehe meine Liebste in eines andern Armen,Nun träfe mich schon alles – Gott, wie bedaur’ ich.Und sie sagte mir doch, sie sei meine treue Geliebte,Es war aber nur ein eitles Geschwätz,Ich glaube ihren Worten nicht mehr; o könnt ich beide vergessen:Falsch ist ihr Leib und Seele, der Blonden wie der Braunen.Der alte Ungar und ich wurden später gute Freunde und rauchten manchePfeife zusammen. Den ganzen Tag über hatte sich das Wetter nicht gebessert.Bald stürmte der Wind heftig und machte den Aufenthalt auf dem Verdeck unangenehm,dann regnete es wieder und trieb uns vollends in die Kajüte. Dochabgesehen da<strong>von</strong>, daß die freie Luft oben viel angenehmer ist, als die Atmosphäreunter dem Deck, verloren wir für heute an der Aussicht nicht viel; dennim allgemeinen sind die einförmigen Ebenen, durch welche sich <strong>von</strong> Pest bisApatin der Strom hinzieht, ohne Reiz für das Auge. Erst wenn man sich denGrenzen des Banats und Serbiens nähert, gewinnt die Landschaft ein großartigeresAnsehen und durch die Gebirge Bosniens und Serbiens, welche bei heiteremWetter <strong>von</strong> Zeit zu Zeit sichtbar werden. Abends gegen neun Uhr kamenwir nach Baja, wo wir dicht am Ufer Anker warfen, um, da die Dunkelheitder Nacht es nicht erlaubte weiterzufahren, hier den Morgen zu erwarten. Wir