108 MorgenKinoEmmanuelle SeiGnerüber »Venus im Pelz«Sie hat mit François Ozon und Dario Argentogedreht und mit Bela B. gesungen. Im neuenFilm ihres Ehemanns Roman Polanski durchlebtEmmanuelle Seigner die Probleme einer abgelehntenSchauspielerin, die sie auch schon am eigenen Leiberlebt hat.»Venus im Pelz« erzählt vom schwierigenVerhältnis zwischen Schauspielerinnen undRegisseuren. Wie viel Autobiografisches stecktin <strong>de</strong>r Geschichte?Ich versuche immer, Elemente meiner Persönlichkeiteinzubringen. Was die Situation <strong>de</strong>sVorsprechens angeht: Na klar, auch ich habe daein paar grauenvolle Erfahrungen gesammelt.Und ich kenne auch dieses Gefühl, sich nichtwertgeschätzt zu fühlen. We<strong>de</strong>r die Zuschauernoch die Kritiker schienen mich zu mögen, alsdamals Filme wie »Frantic« o<strong>de</strong>r »Bitter Moon«herauskamen. Aber letztlich ist das mit <strong>de</strong>nRollen wie mit <strong>de</strong>n Klei<strong>de</strong>rn. Manchmal ziehtman für eine Party das falsche an, da kann mandann nur hoffen, dass man beim nächsten Malein besseres Händchen hat. »Venus im Pelz«allerdings saß auf Anhieb wie angegossen.Wür<strong>de</strong>n Sie die gleiche Parallele zwischen Sadomasochismusund Schauspielerei ziehen wieIhre Figur im Film?Keine Frage! <strong>Als</strong> Schauspielerin sammelt manviele Erfahrungen mit Demütigungen. Vor allemzu Beginn eines Projekts, wenn es um dieBesetzung geht. Man ist nun einmal <strong>de</strong>n Wünschenund Vorstellungen an<strong>de</strong>rer ausgeliefert.Immer wie<strong>de</strong>r ist man zu jung, zu alt, zu dick,zu dünn, zu groß, zu klein. Dafür muss manziemlich stark sein. Denn so wun<strong>de</strong>rbar dieserBeruf auch ist: Mit diesen Erfahrungen <strong>de</strong>rAblehnung muss man erst einmal klarkommen.Vor allem, wenn man jung ist, nimmt man soetwas immer persönlich.Hilft es, wenn man mit <strong>de</strong>m eigenen Ehemannzusammen arbeitet?Ich hatte vor »Venus im Pelz« 14 Jahre langnicht mehr vor Romans Kamera gestan<strong>de</strong>n.Sowohl, weil wir bei<strong>de</strong> fan<strong>de</strong>n, ich müsse neue,eigene Erfahrungen mit an<strong>de</strong>ren Regisseurensammeln, als auch, weil wir auf ein geeignetesProjekt warten wollten. Allerdings kann ichnicht leugnen, dass sich die Arbeit mit ihmtatsächlich außergewöhnlich gut anfühlt. Daist ganz viel Vertrauen, das nicht erst aufgebautwer<strong>de</strong>n muss, und ich weiß, dass er mich nichtin ein schlechtes Licht rücken wird. Abgesehendavon ist er bekanntlich ein großartigerRegisseur – und es ist immer angenehmer, mitjeman<strong>de</strong>m zu drehen, <strong>de</strong>r auch wirklich Talenthat und nicht bloß ein Idiot ist. Fin<strong>de</strong>t man vorallem in Frankreich nicht allzu oft!Interview: Patrick Heidmann— »Venus im Pelz« (F/P 2013; R: Roman Polanski; D:Emmanuelle Seigner; Kinostart: 21.11.13)ChasinG IceJeff Orlowski konfrontiert uns imDokumentarfilm »Chasing Ice«mit Bil<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r weltweitenGletscherschmelze – und mit unseremgefährlichen Halbwissen.Der Zuschauer folgt <strong>de</strong>m National-Geographic-FotografenJamesBalog, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n düsteren Apologeten<strong>de</strong>r globalen Er<strong>de</strong>rwärmungzu Beginn seiner Mission eherskeptisch gegenüberstand. 2007stellte er <strong>de</strong>nnoch überall in <strong>de</strong>rArktis vollautomatische Kamerasauf, die über einen Zeitraum vonsechs Monaten jeweils ein Bild proStun<strong>de</strong> schossen und so das rasanteSchwin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Eisberge dokumentierensollten. Das Projekt EIS(Extreme Ice Survey) war geboren.We<strong>de</strong>r die eisige Kälte noch explodieren<strong>de</strong>Kamerabatterien, auchnicht Kabel durchbeißen<strong>de</strong> Füchseo<strong>de</strong>r sein bereits mehrfach operiertesKnie konnten ihn und seinTeam aufhalten. Nach vier Jahrenist es so weit: Balog hält etlicheSpeicherkarten, die »die Erinnerung<strong>de</strong>r Landschaft« beinhalten,in seinen eisigen Hän<strong>de</strong>n, und manwird Zeuge dieser unglaublichenHorror-Zeitrafferfilme. Zum Beispielgelingt es ihm, das »Kalben«eines Gletschers zu dokumentieren:Gigantische Eismassen von<strong>de</strong>r Größe Lower Manhattansstürzen innerhalb von 75 Stun<strong>de</strong>nunwi<strong>de</strong>rruflich ins Meer. EinzigerWermutstropfen: das recht pathetische,Oscar-nominierte Duettvon Scarlett Johansson und JoshuaBell am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Films sowie dasausgewalzte persönliche Schicksal<strong>de</strong>s typisch amerikanisch hel<strong>de</strong>nhaftenFotografen.Gabriele Summen— »Chasing Ice« (USA 2012; R: JeffOrlowski; Kinostart: 07.11.13)
Morgen 109DVDBisdasBlutGefriertDie Mutter <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Spukhaus-Films erfuhr ein gespenstisch langweiliges Remake (»Das Geisterschloss«)sowie zahlreiche Epigonen. Das Original ist bis heute unerreicht.Ehrenamtliche Junior-Mitarbeiter <strong>de</strong>r PolizeidirektionRocky Beach, so wie ich es seit<strong>de</strong>n frühen 80er-Jahren bin, sind natürlichmit <strong>de</strong>m Treiben um und in Spukhäusernund -schlössern bestens vertraut. Von altenSchauspielern, die dort also möglicherweisetechnisierten Gespenster-Schabernack treiben,um ungebetene Besucher zu vertreiben, lassenwir uns nicht ängstigen. Je<strong>de</strong>nfalls nicht zumEinschlafen. Aber vielleicht verhält es sich mit<strong>de</strong>m Hill House ja doch etwas an<strong>de</strong>rs? Es istein böses altes Haus. Dunkel, geheimnisvoll– wie ein unent<strong>de</strong>cktes Land, das darauf wartet,erforscht zu wer<strong>de</strong>n. 90 Jahre steht HillHouse, und vielleicht steht es noch weitere 90Jahre? Unheimlich. Friedhofstill. Eine Stätte,die manche Leute ein Gespensterhaus nennen.Ein Haus, in <strong>de</strong>m es umgeht.Bereits <strong>de</strong>r Prolog zu Robert Wises Gruselklassiker»Bis das Blut gefriert« aus <strong>de</strong>m Jahr1963 lässt ahnen, dass hier etwas nicht stimmt.Affären, Mord, Wahnsinn und Selbstmord warenstetige Begleiter <strong>de</strong>s im entlegenen Neuenglandgebauten, von Tragik und Düsternisumwitterten Anwesens. Grund genug für <strong>de</strong>nParapsychologen Dr. John Markway (RichardJohnson), die Erbin zu überzeugen, ihn dort einExperiment durchführen zu lassen, mit <strong>de</strong>m erdie Existenz <strong>de</strong>s Übernatürlichen beweisen will.Hierzu lädt er psychisch empfängliche Leuteein, die dabei helfen sollen, nicht nur knarren<strong>de</strong>Fußbö<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn vielleicht <strong>de</strong>n Schlüssel zueiner an<strong>de</strong>ren Welt zu fin<strong>de</strong>n. Darunter dieexzentrische Eleanor Lance (Julie Harris), diesich nach <strong>de</strong>m Tod ihrer Mutter, für <strong>de</strong>n siesich verantwortlich fühlt, endlich von ihremSchicksal emanzipieren will und <strong>de</strong>ren innererMonolog <strong>de</strong>n Film als gespenstischer Begleiteraus <strong>de</strong>m Off untermalt.Aus Gängen wer<strong>de</strong>n Labyrinthe, nächtlicheKlopfgeräusche hallen durch die Zimmer, unddie Wän<strong>de</strong> scheinen Augen zu haben. Das Hausselbst ist das Böse – ein Effekt, <strong>de</strong>r durch ebensoeinfache wie effektive Mittel wie eine subjektivierteKameraführung, häufige Perspektivenwechselund eine ausgefeilte Tonkulisse erreichtund getragen wird.Cay Clasen— <strong>Intro</strong> empfiehlt: »Bis das Blut gefriert«(GB/USA 1963; R: Robert Wise; D: Richard Johnson,Julie Harris, Lois Maxwell, Claire Bloom;Warner Home Vi<strong>de</strong>o)