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HEUTE 063Wer war Elliott Smith ?Einsam steht Elliott Smith am 24. Februar 1998 auf <strong>de</strong>rBühne <strong>de</strong>r 80. Aca<strong>de</strong>my-Awards-Verleihung und hältsich an seiner Gitarre fest. 57.000.000 Augenpaareverfolgen, wie er seinen für <strong>de</strong>n Oscar nominiertenSong »Miss Misery« aus <strong>de</strong>m Soundtrack zu Gus vanSants Film »Good Will Hunting« präsentiert: »I’ll fake itthrough the day / With some help / From Johnny Walkerred / Send the poisoned rain down the drain / To put badthoughts in my head.« Für zwei Minuten reißt Smith dieZuschauer im Saal und vor <strong>de</strong>n Fernsehern mit seinem melancholischenSong über Schmerz, Trennung und Trauer ausihrer Feierlaune. Obwohl er in seiner Performance seltsamabwesend wirkt und sein Blick <strong>de</strong>n Kameras ausweicht, istdieser Auftritt wohl <strong>de</strong>r Höhepunkt einer Karriere, die nurfünf Jahre später ein jähes En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t.Am 21. Oktober 2003 stirbt Elliott Smith in einem Krankenhausin Los Angeles an zwei Stichwun<strong>de</strong>n ins Herz.Vermutlich Selbstmord (darum ranken sich bis heute Verschwörungstheorien),vermutlich nach einem Streit mitseiner Lebensgefährtin Jennifer Chiba. Seine Abschiedsbotschaftauf einem Post-it lautet: »I’m so sorry – love, Elliott.God forgive me.« Keine weiteren Erklärungen, mitten in <strong>de</strong>rProduktion eines neuen Albums und zu einem Zeitpunkt,als sein Umfeld ihn nach Jahren <strong>de</strong>r Drogen- und Alkoholexzesseals gefestigt wahrnimmt. Sein Tod bleibt das letztegroße Geheimnis <strong>de</strong>s leisen Songwriters.Elliott Smith singe wie jemand, <strong>de</strong>r über Geheimnissenach<strong>de</strong>nke, schreibt sein Biograf Benjamin Nugent (»ElliottSmith And The Big Nothing«). Ein Geheimnis jedoch warendie Probleme <strong>de</strong>s Musikers nicht: Wie<strong>de</strong>r und wie<strong>de</strong>r hater Selbstmordfantasien und -versuche, Drogen- und an<strong>de</strong>reAbstürze in seinen düsteren Texten thematisiert. Aber immerwohnte ihnen auch eine melancholische Selbstironie inne.Elliott Smith ging jedoch noch weiter, als die Erwartungenan einen »authentischen« Rockstar zu erfüllen. Er legte allesoffen. Auch jene Bereiche seiner beschädigten Psyche, dieso gar nicht in die MTV- und Oscar-Welt passen wollten:Paranoia und Depressionen, das zerrüttete Elternhaus und<strong>de</strong>r sexuelle Missbrauch durch seinen Stiefvater, was auchdie Gründung einer Stiftung für missbrauchte Kin<strong>de</strong>r kurzvor seinem Tod motivierte.Aus <strong>de</strong>m christlich geprägten texanischen Haushalt seinerMutter war Elliott Smith mit 14 Jahren zu seinem Vater nachPortland geflohen. Das liberale Klima <strong>de</strong>r College-Stadtprägte <strong>de</strong>n jungen Musiker, doch die Einflüsse kamen vonüberall: Er hörte die Beatles und Pink Floyd, bewun<strong>de</strong>rteNico und Richard Hell, las Beckett und Kierkegaard, lernteneben Gitarre und Piano auch Klarinette, Schlagzeug undMundharmonika und studierte schließlich Philosophieund Politik. 1991 grün<strong>de</strong>te Smith mit Neil Gust die BandHeatmiser, die sich musikalisch im Trend <strong>de</strong>r Zeit bewegte– irgendwo zwischen Alternative Rock und Grunge –,jedoch mit ihren Texten über schwules Leben in Amerikadavon abhob. Schon hier ist <strong>de</strong>r Wille Smiths zu erkennen,als Musiker mit Erwartungen und Klischees zu brechen:ein einsames Unterfangen.<strong>Als</strong> sich Heatmiser 1996 auflösten, war klar, dass dasVersprechen, das Grunge einmal hätte sein können, niemalseingelöst wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Während etwa Kurt Cobain Grungeals Bühne für ein neues Bild <strong>de</strong>s Rockstars zu nutzen versuchthatte und Selbstzweifel, gebrochene Männlichkeitsbil<strong>de</strong>r,Trauer artikulierte, wur<strong>de</strong>n diese Ansätze nach seinemSelbstmord von Alternative Rock und Crossover übertönt.In Cobains To<strong>de</strong>sjahr 1994 erschien mit »Roman Candle«das erste Soloalbum Smiths, das mit an<strong>de</strong>ren musikalischenMitteln diese I<strong>de</strong>en weiterführte: Gebrochenheit wird zurSchau gestellt, Selbstzweifel formuliert, Schwäche gezeigt.Nach innen gerichtete Songs erreichten ein immer größeresPublikum, bis hin zu jenen 57.000.000 im Februar 1998.Die Geheimnisse, die Elliott Smith mit <strong>de</strong>r Welt teilte,mit seiner wispern<strong>de</strong>n Stimme vortrug, verbreiten sich auchnach seinem Tod weiter. Immer dort, wo Bands versuchen,<strong>de</strong>n eigenen Zweifeln Gehör zu verschaffen, ohne darauseine Pose zu machen, wo (männliche) Bands versuchen, ihreeigene Männlichkeit zu hinterfragen, fin<strong>de</strong>n sich Brü<strong>de</strong>rim Geiste Elliott Smiths, mögen sie nun Belle & Sebastian,Conor Oberst o<strong>de</strong>r Sigur Rós heißen.Gewonnen hat <strong>de</strong>n Oscar 1998 übrigens Céline Dions»My Heart Will Go On«, <strong>de</strong>r Titelsong aus »Titanic«. DieserSong läuft heute auf geschmacklosen »Best of 90s«-Partys,während Elliott Smiths Herz in seiner zeitlosen Musikunaufhörlich weiterschlägt.Jonas Engelmann1969-2003EIN LEBENElliott Smith06.08.1969Elliott Smith wird als StevenPaul Smith in Omaha, Nebraskageboren. Die Elterntrennen sich. Im Alter vonsechs Monaten zieht seineMutter mit ihrem Sohnnach Duncanville, Texas.1978Mit neun Jahren beginntSmith Klavier zu spielen.Sein Stiefvater CharlieWelch verprügelt ihn regelmäßig.Auch einen Verdachtauf sexuellen Missbrauchwird Smith später in Interviewsan<strong>de</strong>uten.1979Smith gewinnt mit <strong>de</strong>rKlavier-Komposition »Fantasy«einen Preis bei einemlokalen Musikwettbewerb.Er trinkt ab jetzt bereitssporadisch Alkohol. Zunächstwohl nur, um einemälteren Nachbarsjungen zuimponieren.1981Smiths leiblicher Vater, einPsychiater, schenkt ihmseine erste Gitarre.

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