068 HEUTECut CopyKin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r RevolutionIn Australien scheint die Sonne meistens. Die i<strong>de</strong>ale Voraussetzung füreine Band wie Cut Copy, <strong>de</strong>ren Schaffen gerne mit Begriffen wie Helligkeit,Wärme und Lebensfreu<strong>de</strong> beschrieben wird. Mit ihrem vierten Album»Free Your Mind« will sie nun endgültig unser Bewusstsein verän<strong>de</strong>rn.Glücklicherweise muss man dafür nieman<strong>de</strong>n anbeten, wie Martin Riemannim Interview mit Mitchell Scott erfuhr. Foto: Aaron SternSekteDen Eindruck, bei <strong>de</strong>r Bandhandle es sich um eine Sekte,stützt das Vi<strong>de</strong>o zu »FreeYour Mind«, in <strong>de</strong>m »TrueBlood«-Vampir Alexan<strong>de</strong>rSkarsgård <strong>de</strong>n halbnacktenGuru einer ulkigen New-Age-Sekte spielt, <strong>de</strong>m seineeigene Anbetungswürdigkeitzunehmend unangenehmwird.Irgendwo am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt steht eine riesige Werbetafel.Sie ist so hoch wie ein Mehrfamilienhaus und nur mittelsGPS-Daten auffindbar. Drei Worte sind darauf zu lesen:»Free Your Mind«. Die billige Gestaltung <strong>de</strong>s Schil<strong>de</strong>s lässt<strong>de</strong>n Aufruf sehr zurückhaltend, fast hilflos wirken. DieseWerbung versucht nieman<strong>de</strong>n zu erreichen, sie hat sichversteckt, man muss sie buchstäblich suchen. Ein Rätselmitten im Nichts.Aufgestellt wur<strong>de</strong> es von Cut Copy, <strong>de</strong>m australischenElectro-Quartett, das in seiner Heimat schon für außergewöhnlichePromo-Aktionen bekannt ist. Zur Veröffentlichung<strong>de</strong>r neuen Single »Free Your Mind« ließ die Bandan fünf entlegenen Winkeln dieser Welt solche Werbetafelnaufstellen. Unter an<strong>de</strong>rem in Chile, Mexiko und in <strong>de</strong>raustralischen Wüste. Eine seltsame I<strong>de</strong>e auch <strong>de</strong>swegen,weil die vier Australier durchaus erfolgreich genug sind, umsich eine ähnliche Werbung in dicht besie<strong>de</strong>lten Gebietenleisten zu können.In ihrer Heimat gehören Cut Copy zu <strong>de</strong>n führen<strong>de</strong>nElectro-Acts und ziehen regelmäßig Zigtausen<strong>de</strong> Fans aufFestivals und zu Konzerten. 2001 gegrün<strong>de</strong>t, zählten sie zu<strong>de</strong>n ersten Bands, die in <strong>de</strong>n Nullerjahren Indierock undPost-Punk mit <strong>de</strong>r Herangehensweise von Dance-Music neuinterpretierten. Mit ihren letzten bei<strong>de</strong>n Alben »In GhostColours« und »Zonoscope« schossen sie nicht nur in <strong>de</strong>naustralischen Charts jeweils bis auf Platz 1, son<strong>de</strong>rn auch in<strong>de</strong>n US-Charts auf einen respektablen 147. beziehungsweise46. Platz. Ihr Erfolgsrezept sind sorgfältig durchdachteAlben, die man dank ihrer emotionalen und tonalen Bandbreiteallesamt zu je<strong>de</strong>r distinguierten Feier durchlaufenlassen kann. Dazu ein Gespür für träumerisch-sonnigesSongwriting, das in Stil und Klang und vor allem durchdas sehnsuchtsvolle Timbre <strong>de</strong>s Bandgrün<strong>de</strong>rsund Sängers Dan Whitford Erinnerungen an <strong>de</strong>nSynthie-Pop <strong>de</strong>r 80er hervorruft.Sekte ohne Gott»Free Your Mind« empfängt <strong>de</strong>n Hörer mit <strong>de</strong>mleicht verstören<strong>de</strong>n Mantra <strong>de</strong>s Albumtitels. Eserweckt damit <strong>de</strong>n Eindruck, Cut Copy wären inWirklichkeit eine verrückte Sekte auf Seelenfang.Der Schlagzeuger von Cut Copy, Mitchell Scott,fin<strong>de</strong>t diesen Vergleich komischerweise überhaupt nicht abwegig.Während sein Hund im Hintergrund unablässig bellt,erklärt er mir via Skype, dass sich »<strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>s Albumstatsächlich auf religiöse Zeremonien bezieht. Allerdingsohne Anbetung einer göttlichen Kraft.« Ihm gefällt die I<strong>de</strong>e,dass <strong>de</strong>r Hörer so in einen seltsamen Bewusstseinszustandversetzt wird. »Sinn <strong>de</strong>s <strong>Intro</strong>s und Outros ist, darauf hinzuweisen,dass es eine einzigartige Erfahrung be<strong>de</strong>uten kann,sich das Album ganz entspannt und mit leicht verschobenemBewusstsein anzuhören.«Es wird <strong>de</strong>utlich: Cut Copy haben hohe Ambitionen. IhrZiel ist, <strong>de</strong>n Hörer in einen hypnotischen Sog zu ziehenund über die Länge eines ganzen Albums in Schwebezustandzu versetzen. Der Maßstab »stimmiges Album« istbei ihnen ausnahmsweise kein leeres Versprechen. »Wirlieben es, Alben aufzunehmen, und unsere Musik ist daraufausgerichtet, dass man ihr sehr genau zuhört«, erläutertScott die Arbeitsweise seiner Band. »Das ist etwas, auf daswir tatsächlich achten, wenn wir die Songabfolge einesAlbums festlegen. Zum Beispiel, wenn wir einige Songsdurch kurze Intermezzi miteinan<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>n. Es soll sich
HEUTE 069lohnen, wenn man das Album in einem durchhört.« CutCopy begreifen das Medium Album alsKunstform, das in seiner Gesamtheitan zusätzlicher Be<strong>de</strong>utung gewinnt.Haight-Ashbury HouseFür »Free Your Mind« konnten Cut Copy auf eine für sieungewöhnlich hohe Zahl an Songs zurückgreifen. Zustan<strong>de</strong>gekommen ist das umfangreiche Portfolio durch einenTrick: An je<strong>de</strong>m Song durfte erstmals strikt nur einen Taglang gearbeitet wer<strong>de</strong>n. Die Auswahl wur<strong>de</strong> dann gemeinsammit Dave Fridmann getroffen, wobei im Anschluss alleSongs noch einmal sorgfältig überarbeitet wur<strong>de</strong>n, sodasssie sich nahtlos in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>s Albums stellen ließen.Auffällig ist hierbei vor allem, dass Cut Copy mittlerweileauf Gitarren, bisher eines ihrer maßgeblichen Elemente,fast vollständig verzichtet haben. Ein klarer Fortschritt. DerSound auf »Free Your Mind« ist inspiriert von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n»Sommern <strong>de</strong>r Liebe«. Cut Copy versuchen, auf <strong>de</strong>m Albumdie psyche<strong>de</strong>lische Musik <strong>de</strong>r 60er mit <strong>de</strong>m Acid House undRave <strong>de</strong>r späten 80er zu verbin<strong>de</strong>n. Vor allem dank verspulterInterlu<strong>de</strong>s und eines abwechslungsreichen Klangspektrumsgelingt das ziemlich gut. Natürlich erinnern die Australierdabei zuweilen an Bands wie Tame Impala o<strong>de</strong>r auch TheRapture. Cut Copy sind aber mittlerweile versiert genug,um solchen Vergleichen durch raffinierte Hakenschlägeund Wendungen in ihren Songs zu entkommen. Ohnehinüberrascht immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r klangliche I<strong>de</strong>enreichtum,mit <strong>de</strong>m Cut Copy ihr Ziel <strong>de</strong>s durchhörbaren Albumskonsequent verfolgen.Da bleibt bei aller Perfektion nur noch die Frage, warumdie Werbetafeln eigentlich so hässlich aussehen. Auchdahinter steckt Metho<strong>de</strong>, wie Scott verrät: »Wir habenuns an Werbefirmen gewandt und sie gebeten, uns ihreschlechtesten Entwürfe zu schicken, weil wir glaubten, diewären genau das Richtige für uns.« Freiheit ist eben keineFrage <strong>de</strong>s Layouts.— <strong>Intro</strong> empfiehlt: Cut Copy »Free Your Mind« (Modular /Rough Tra<strong>de</strong>) — Auf Tour vom 03. bis 04.12.Dave FridmannNew Yorker Produzent undBassist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Sound vonBands wie Flaming Lips undMercury Rev mitgeprägthat und als Phil Spector <strong>de</strong>rAlternative-Rock-Ära gilt.Die Sommer <strong>de</strong>r LiebeDer erste fand 1967 hauptsächlichin San Franciscozum Höhepunkt <strong>de</strong>rHippie-Bewegung mithilfegigantischer Mengen LSDund Speed statt. Der zweitedauerte genau genommenzwei Sommer an (1988 und1989) und bezieht sich aufdie britische Rave-Bewegung.Auch hier bekam dieallseitige Liebe Unterstützungvon Substanzen wieLSD und natürlich MDMA.