046 HEUTEArca<strong>de</strong> Fire – Die NebenprojekteSarah NeufelDDie Violinistin von Arca<strong>de</strong>Fire ist umtriebig, widmetesich zuletzt ihrem nochrecht neuen Solo<strong>de</strong>büt»Hero Brother«, das diesenAugust erschien undverhallten Geigenwohlklang(manchmal) mitgehauchtem Geistergesangvermählt. Passt gutin <strong>de</strong>n Herbst.The LuyasPietro Amato ist Teilzeit-Mitglied von Arca<strong>de</strong> Fire,Mitglied <strong>de</strong>s Belle Orchestreund bei The Luyasaktiv, die einen verspieltenTwee-Indie servieren, <strong>de</strong>rvor allem auf <strong>de</strong>m 2009er-Album »Too BeautifulTo Work« sehr gelungenklingt. Seit 2009 ist SarahNeufeld auch mit dabei.BelleOrchestreSarah Neufeld musiziertan <strong>de</strong>r Seite von RichardReed Parry auch bei dieserInstrumentalband, diebereits 2003 mit Arca<strong>de</strong>Fire das Studio teilte unddie Band 2005 auf Tourbegleitete.Jeremy GaraDer Drummer <strong>de</strong>r Bandwar bereits Mitglied einerSlowcore-Band (Kepler),spielte Mathrock beiWeights and Measuresund ist zum Beispiel aufOwen Palletts Album»Heartland« zu hören.»Der Bass klopft und klopft ...«James MurphyMit <strong>de</strong>m DFA-Labelbetreiberund LCD-Soundsystem-Mastermind habe manschon immer zusammenarbeiten wollen, sagte WinButler im BBC-Interview.Murphy hat allerdings nurein paar Songs auf »Reflektor«(mit-)produziert – unteran<strong>de</strong>rem das Titelstück.Butler: »Wenn du Murphydazu bringst, dass er <strong>de</strong>nFuß wippt, weißt du, dass duauf <strong>de</strong>m richtigen Weg bist.«Monkey IslandDas mehrteiligePoint&Click-Adventure um<strong>de</strong>n Möchtegern-PiratenGuybrush Threepwoodgenießt Kultstatus. Wer dieAssoziation zu verwegenfin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r erinnere sich bittean Win Butlers »Studio 54meets Voodoo«-Zitat, höresich <strong>de</strong>n Schlusspart von»Here Comes The NightTime« an und besuche dannin »Monkey Island 2« aufScabb Island die VoodooLady in ihrer Sumpfhütte.20. September, Berliner Firmensitz von Universal. DerPlatten-Major übernimmt in Deutschland <strong>de</strong>n Vertriebvon »Reflektor«. In Amerika sind Arca<strong>de</strong> Fire noch auf <strong>de</strong>mIndie-Label Merge Records. Die einzige »Reflektor«-CD,die es bisher in Deutschland gibt, liegt in einem Player, <strong>de</strong>rvermutlich schon viel Elend schlucken musste. Der Raum,<strong>de</strong>r extra für Listening-Sessions gebaut zu sein scheint,wirkt, als wür<strong>de</strong>n hier normalerweise Popsternchen jeneSongs vorgespielt bekommen, die sie bald singen müssen.Aber <strong>de</strong>r Bass <strong>de</strong>r Anlage kann was! Und das ist bei Arca<strong>de</strong>Fire anscheinend auf einmal wichtig. Das zeigte bereitsdie Single »Reflektor« – einer jener Songs, die von JamesMurphy produziert wur<strong>de</strong>n. Ich sollte eigentlich dankbarzeigen, diese Musik so früh hören zu dürfen, und dochbin ich vor allem überfor<strong>de</strong>rt. Dreizehn Songs, einige sofintenreich, als habe man versucht, ebenso viele Stile darinunterzubringen. Am En<strong>de</strong> schwirren <strong>de</strong>m Hörer seltsameReferenzen durch <strong>de</strong>n Kopf, die von Peter Gabriel bis zumSoundtrack von »Monkey Island« reichen. Ich habe meinNotizbuch vollgeschrieben mit Quatsch wie diesem: »DerBass klopft und klopft an <strong>de</strong>r Himmelstür, say heaven is aplace and you know where it is.« O<strong>de</strong>r: »Klingt nach Arca<strong>de</strong>Fire as you’ve known them before, bis dann <strong>de</strong>r Bass in <strong>de</strong>nKeller geht und die Kohlen anfeuert.«<strong>Als</strong> ich Will Butler später ein paar dieser Notizen vorlese,klingt sein Lachen noch ein wenig lauter. Dann erklärt er, wasfür ihn die Essenz <strong>de</strong>r Aufnahmen ausmache: »Wir habenuns nie wirklich als Musiker verstan<strong>de</strong>n. Bisher sahen wiruns als Künstler, die ganz okay Musik machen können. Dasist inzwischen an<strong>de</strong>rs. Wir haben viel dazugelernt. Was <strong>de</strong>nSound angeht, ist es wohl wirklich so, dass unsere Zeit inHaiti ihre Spuren hinterlassen hat. Unsere Konzerte dorthaben uns viel über Dynamik nach<strong>de</strong>nken lassen, weileine Crowd, die kaum mit Rock’n’Roll sozialisiert wur<strong>de</strong>,ganz an<strong>de</strong>rs auf <strong>de</strong>ine Musik reagiert. Außer<strong>de</strong>m habenwir <strong>de</strong>n Karneval dort kennengelernt – was sich ebenfallsausgewirkt hat.«Wie das gemeint ist, sieht man sehr gut in besagtem Film,vor allem, wenn <strong>de</strong>r erste Song in <strong>de</strong>r fünften Minute zueiner wil<strong>de</strong>n Tribal-Orgie abhebt. »Was die vielen Songi<strong>de</strong>enangeht: Wir haben Stücke immer schon eher durch Jam-Sessions entwickelt. Denk nur an ›Rococo‹ o<strong>de</strong>r ›CrownOf Love‹. Diesmal ist vor allem ›Reflektor‹ so entstan<strong>de</strong>n.Wir waren dabei ein Dutzend Musiker im Studio. Darunterzwei haitianische Drummer, zwei zusätzliche Saxofonisten,Owen Pallett am Klavier – es fühlte sich fast wie eineMotown-Session an. Man arbeitet natürlich noch eine Weileam Resultat, aber <strong>de</strong>r Kern <strong>de</strong>s Songs ist dort entstan<strong>de</strong>n.«Einen Gast hat Will dabei <strong>de</strong>zent unterschlagen: David Bowiesingt schließlich auch mit. Wie sich das so anfühlt, wennDavid Bowie im Studio vorbeischneit? »Ehrlich gesagt <strong>de</strong>nkich immer das Gleiche und immer nur das eine, wenn DavidBowie irgendwo in meiner Nähe ist: ›Gott, riecht <strong>de</strong>r gut!‹«Quadratur <strong>de</strong>s Kreises23. September. Am Telefon noch immer Will Butler. Diesermüsse jedoch in fünf Minuten auflegen, sagt die freundlicheLabel-Dame aus <strong>de</strong>m Off. Scha<strong>de</strong>, wo man doch gera<strong>de</strong> beieinem interessanten Thema ist. Nämlich bei <strong>de</strong>n Fragen,die man selbst auch nicht beantworten kann: Wieso bil<strong>de</strong>tman sich ein, die Musik dieser Riesenband wäre etwas Intimes,etwas Persönliches, etwas, das man nicht nur in dieKlatschehän<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch ins Herz lassen will? Und wiewill die Band dieses Gefühl bewahren, wo doch die Hallen,in <strong>de</strong>nen sie spielen, immer größer wer<strong>de</strong>n? »Das ist genaudie Herausfor<strong>de</strong>rung, <strong>de</strong>r wir uns immer wie<strong>de</strong>r stellenmüssen«, antwortet Will. »Es ist einfach, ein Fußballstadion›Schiri raus!‹ brüllen zu lassen. O<strong>de</strong>r Zehntausen<strong>de</strong>stumpf mitklatschen zu lassen. Ehrlich gesagt ist es ziemlichunheimlich, wie leicht so was geht. Wir wollen allerdings,dass die Leute mitklatschen, sich dabei auf künstlerischwertvolle Weise bewegen, ihre Individualität bewahren, sichlebendig fühlen und vielleicht noch einen tiefschürfen<strong>de</strong>nGedanken haben. Wenn wir das schaffen, gehen wir danachdie Quadratur <strong>de</strong>s Kreises an.«Dann ist da wie<strong>de</strong>r dieses Lachen, ein schöner Abschlussfür das Gespräch.— Arca<strong>de</strong> Fire »Reflektor« (Vertigo / Universal)
HEUTE 047Owen Pallett... alias Final Fantasy istseit Jahren gern gesehenerGast bei Arca<strong>de</strong> Fire unddort zum Beispiel (auf»Funeral« und »NeonBible«) für die Orchester-Arrangements zuständig.Auch bei <strong>de</strong>n Secret-Shows stand er mit Arca<strong>de</strong>Fire auf <strong>de</strong>r Bühne.DiskoGrafieArCa<strong>de</strong> Fire EP (2003, Re-Release 2005)Gab es eigentlich eine Zeit, in <strong>de</strong>rman sich von dieser Band nichtGroßes versprochen hatte? Wennüberhaupt, dann vielleicht nur dieZeitspanne zwischen Bandgründungund <strong>de</strong>m Erscheinungsjahrdieser EP. Hier mag die bisweilenmaue Produktion noch ein wenigauf Stimme und Stimmung drücken, aber Songs wie »I’mSleeping In A Submarine« und »Headlights Look Like Diamonds«zeigen bereits <strong>de</strong>n Kontrast zwischen Experimentierfreu<strong>de</strong>und <strong>de</strong>m Drang zur großen Melodie, <strong>de</strong>n Arca<strong>de</strong>Fire später immer weiter perfektioniert und zelebriert haben.Interessant ist vor allem, dass sich eines <strong>de</strong>r besten Stückeihres Albums »Neon Bible« bereits hier fin<strong>de</strong>t: »No CarsGo«, zwar noch ein wenig mehr rumpelnd, aber schon alsHinweis, wie groß die Band mal klingen will.Funeral (2004)Das Album<strong>de</strong>büt, das dank eines Lizenzierungs-Hickhackshierzulan<strong>de</strong>offiziell erst 2005 erschien, hatteschon ein gewisses Hype-Potenzialim Rücken. Was zum einen an <strong>de</strong>nBerichten über die mitreißen<strong>de</strong>nKonzerte von Arca<strong>de</strong> Fire und zuman<strong>de</strong>ren an <strong>de</strong>n Lobeshymnen <strong>de</strong>rUS-Musikpresse lag. Christian Steinbrink sah darin in<strong>Intro</strong> eine »unerhört feine Indie-Platte, die wirklich allenvollmundigen Ankündigungen gerecht wird. Zwar dockthier wenig an die aktuellen musikalischen Mo<strong>de</strong>n an, alleindie Vielfalt <strong>de</strong>r Songs auf diesem Debüt verdient an sichschon das Prädikat ›zeitlos‹. Vieles wirkt hier spielerisch,wie aus <strong>de</strong>m Ärmel geschüttelt, aber gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb wievon außergewöhnlichem Talent gesegnet. ›Funeral‹ ist einAlbum, <strong>de</strong>ssen Arrangements und Songstrukturen ähnlichoutstandig wirken wie die auf <strong>de</strong>r bemerkenswertenBroken-Social-Scene-Platte, dabei aber nie elegisch sind,son<strong>de</strong>rn immer fluffig und leicht.« Ein Kunststück, wennman be<strong>de</strong>nkt, wie schwer die Themen, die darauf verhan<strong>de</strong>ltwer<strong>de</strong>n (Tod! Tod! Tod!), wiegen. Die Einschätzung <strong>de</strong>sKollegen kann man hier so stehen lassen – und er wür<strong>de</strong>es sicherlich begrüßen, dass wir sein Fazit, eine Bloc-Party-Platte sei im direkten Vergleich mitreißen<strong>de</strong>r, hier (so gutwie) unter <strong>de</strong>n Tisch fallen lassen.NeOn Bible (2007)Diesmal durfte Kai Klintworthmit einer Rezension ran. Auch erthematisiert <strong>de</strong>n nun noch heftigererklingen<strong>de</strong>n Rummel um dieBand und stellt fest: »In ein paarMonaten zeigt sich dann, ob Arca<strong>de</strong>Fire, die personifizierten Feuilleton-Darlings, es genau wie Adam Greenüber diesen Weg richtig hoch hinaus schaffen.« Adam wer?Ach ja – damals machte <strong>de</strong>r Vergleich durchaus Sinn. Klintwortherkennt zwar zu Recht, dass das Kommunenhafte,das <strong>de</strong>r Band nachgesagt wird, ein wenig nervt, stellt aberein positives Urteil aus: »Die Texte haben sich gemacht, esgeht nonchalant um singularisierte I<strong>de</strong>ntitäten in <strong>de</strong>r globalisiertenWelt. Um Intimes, vorgeführt in einem stets leichtskurrilen Zirkuszelt. Und wenn sich das Songwriting ab <strong>de</strong>mdritten Hören richtig entfaltet und festgesetzt hat, kommenkeine Zweifel mehr auf. Das Indie-Hippie-Kammerorchesterholt alle Herzen ab, die es 2005 entflammt hatte. Plus x.Und jetzt ab ins Feuilleton, auf die Musik-Magazin-Coverund die Bühne.« Im Rückblick kann und muss man heutzutagesagen, dass die ständige Hype-Erwähnung fast einwenig nervt – große Songs hatten sie schon zuvor, und dieBegeisterung <strong>de</strong>r Fans haben sie sich mit tollen Live-Showserspielt. Punkt.The Suburbs (2010)Es gab wenige, die im dritten Albumvon Arca<strong>de</strong> Fire nicht die Platte <strong>de</strong>sJahres sahen – und trotz<strong>de</strong>m gab esirgendwie Re<strong>de</strong>bedarf, was allein 115Kommentare auf intro.<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>rReview von Christian Steinbrink belegen:»›The Suburbs‹ kommt weitgehendohne offenbare Höhepunkteaus, es ist ein Album, das die Melancholie <strong>de</strong>s Heimkommensin <strong>de</strong>n Mittelpunkt und das Songwriting in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>ssenstellt. In diesem Sinne rennt die Band sehen<strong>de</strong>n Auges indie Fehlerstellung, die Rockfans seit Deka<strong>de</strong>n an Konzeptalbenbemängeln. Das Album überzeugt aber <strong>de</strong>nnoch,und zwar durch wun<strong>de</strong>rbare Kniffe wie die verschie<strong>de</strong>nenCovermotive, die vor <strong>de</strong>m Heck eines Wagens <strong>de</strong>n Blick aufverhängnisvolle Orte <strong>de</strong>r Adoleszenz lenken, o<strong>de</strong>r durchseine Texte, die sich oftmals wie Tagebucheinträge <strong>de</strong>sjungen Werther Win Butler lesen. ›Sometimes I can’t believeit / I’m moving past the feeling‹, heißt es sehr exponiert imTitelstück. Beachtet man solche Feinheiten nicht, könnte›The Suburbs‹, das Album, etwas zu beiläufig wirken. Dastäuscht aber, <strong>de</strong>nn dieses Album brennt.«Man könnte auch sagen: Es wächst. Aber das wäre vielleichtzu profan, wenn auch nicht falsch. Tatsächlich zeigtensich viele erst ein wenig genervt von <strong>de</strong>r Kritiker-Lobhu<strong>de</strong>leiund ließen sich dann doch begeistern. Beim Autoren dieserStory war es übrigens an<strong>de</strong>rsherum: Er gehörte zu <strong>de</strong>n »Platte<strong>de</strong>s Jahres«-Lobhu<strong>de</strong>lern und musste später eingestehen,dass eigentlich nur eine Handvoll <strong>de</strong>r Songs dauerhafthängen blieben, während er immer noch gerne in vollerLänge »Funeral« hört.