Editorial - Quickborn. Vereinigung für niederdeutsche Sprache und ...
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ansprach, sagte er zwar auch mir, was er anderen auf plattdeutsch geschrieben<br />
hatte, nämlich dass ihm der Satz über den ”Grenzgänger” bestens gefalle.<br />
Im übrigen war er außerordentlich bitter. Ich kopiere Ihnen dazu eine Notiz<br />
aus meinem PC-Tagebuch vom ...<br />
”13.6.2006 Dienstag. Sonne. Sehr heiß. Halb 6 bei Jan. ”So schlecht wie<br />
gestern <strong>und</strong> heute ging es mir noch nie. Ich habe noch weniger Appetit als<br />
neulich.” Lade ihn trotzdem <strong>für</strong> den Abend ein. Halb neun ist er da. Wieder so<br />
ein immer besser werdender Abend wie vorgestern. ... Wieder wird ihm so<br />
viel besser, dass er beim Abschied überlegt, ob er sich jetzt doch noch die<br />
Roulade von Frau Westphal warm machen soll.<br />
Kommt jetzt zum dritten oder vierten Mal auf Ulf Lesles blöden Heimat-Aufsatz.<br />
Früher, vor Tagen <strong>und</strong> Wochen schon:<br />
”Für wen schreibt der ? Wer hört oder liest so etwas ? Was erfährt man daraus?”<br />
”Die haben doch nur ihre eigenen Gedanken <strong>für</strong> ihren eigenen Kopf <strong>und</strong> leben<br />
nur darin. Die Welt bekommen sie doch nicht mit.”<br />
Zu meiner Empörung nach der ersten Lektüre: ”Ja, das müsstest du ihm mal<br />
ganz knapp schreiben. Aber wirklich nur kurz. Nicht argumentieren. Die argumentieren<br />
ja sofort dagegen, ohne vorher zuzuhören. Die bleiben in ihrem<br />
System. Etwas anderes verstehen sie gar nicht.”<br />
Heute abend, wieder schwächer flüsternd: ”Ich habe das noch mal gelesen.<br />
Das ist ja eine richtige Hinrichtung. Er setzt mich ja mit dem, was er Volksgeist<br />
nennt, gleich.”<br />
Soweit meine Notiz. Das war 12 Tage vor seinem Tod. ”Hinrichtung”!<br />
Ich nehme ja oft milde lächelnd hin, dass Literaturhistoriker sich primär auf<br />
Autor, Biographie <strong>und</strong> Zeit werfen, Literatursoziologen auf Autor <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />
Literaturpsychologen auf die verborgenen Schichten des Autors, Rezeptionsästheten<br />
auf die angeblichen Bedürfnisse des Publikums. Kaum je<br />
einer auf das Werk. Sei’s drum. Davon kann man ja leben.<br />
Ihr Aufsatz sagt nichts über den Lüttjepütt, <strong>und</strong> er ist in mancherlei Unterstellungen<br />
zu Absichten, Motiven oder Wollen des Autors perfide – wobei ich<br />
unterstelle, dass Sie das selbst weder wollten noch bemerkt haben oder bemerken<br />
konnten.<br />
Den Lüttjepütt als ”Melange” <strong>und</strong> ”kunstfertig” zu bezeichnen, zeugt entweder<br />
von stilistischer Ignoranz oder von einem extremen Mangel an Sensibilität.<br />
– Bellmann als ”selbstilluminiert” zu bezeichnen, halte ich <strong>für</strong> geradezu<br />
boshaft. Im Lichte dieser Vokabel erscheinen mir Ihre zuweilen scheinbar<br />
positiven Äußerungen über Autor <strong>und</strong> Werk als heuchlerisch.<br />
Auch bei der Lektüre Ihrer Korrespondenz mit JDB hat mich immer wieder so<br />
ein Unbehagen befallen über die Mischung aus erzwungener Achtung <strong>und</strong><br />
Neid vor einem in Ihrer Szene, den Sie nicht übergehen konnten, nie verstanden,<br />
aber dem Sie durchaus Protektion verdanken.<br />
<strong>Quickborn</strong>108-1.Korr. 109<br />
25.03.2008, 9:06 Uhr<br />
Leserbreve<br />
109