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Editorial - Quickborn. Vereinigung für niederdeutsche Sprache und ...

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WOLF – En Breef ut dat Johr 1946<br />

Nachdem unsere Familie ausgerottet war <strong>und</strong> nur die Mischehen noch<br />

übrig blieben, trat <strong>für</strong> uns eine Zeitlang Ruhe ein. Man holte uns oft zur<br />

Gestapo, um unsere Personalien aufzunehmen oder man forderte uns<br />

auch <strong>und</strong> immer an unseren Feiertagen, Radioapparate, Schreibmaschinen,<br />

Brillanten, Gold <strong>und</strong> Silber abzuliefern. Ich habe nur meinen Radioapparat<br />

abgegeben, aber der größte Schlag traf mich, als ich am 1.<br />

Oktober 1943 von der Jüdischen Gemeinde ein Schreiben erhielt, daß<br />

mir im Auftrag der Gestapo meine Wohnung zum 15. Oktober 1943 gekündigt<br />

wurde mit dem Bemerken, daß <strong>für</strong> Wohnraum gesorgt ist. Wir<br />

erhielten ein Zimmer in der Kippingstraße <strong>für</strong> drei Personen angewiesen<br />

<strong>und</strong> Du kannst Dir denken, wohin mit all meinen Sachen. Ich konnte<br />

nur mein Schlafzimmer <strong>und</strong> einige andere Sachen mitnehmen. Wir haben<br />

etwas verkauft an Eddaxi , die auch ausgebombt war, <strong>und</strong> vieles verschenken<br />

müssen. Unser Herren- <strong>und</strong> Eßzimmer haben wir bei unserem<br />

Nachbarn Jahns untergestellt, <strong>und</strong> die haben ihre Sachen unten im Laden<br />

bei dem Tischler Goldammer eingestellt. Von einem Juden traute er<br />

sich nicht, Sachen anzunehmen. Es fand sich auch keiner, der vom Juden<br />

etwas transportierte oder einlagerte. Wir wohnten bei einem Major a.D.,<br />

selbst eine Mischehe, ein ganz mieser Patron. Wir fühlten uns dort unglücklich<br />

<strong>und</strong> waren froh, als die Engländer uns befreiten. Acht bis neun<br />

Tage noch länger, dann wären wir nicht mehr am Leben gewesen, denn<br />

die Mörder haben schon den Plan gefaßt, den Rest der Mischehen in<br />

Neuengamme zu vergasen.<br />

Hätte Hamburg sich nicht ergeben, dann wären wir durch Atombomben<br />

total vernichtet. Es sind in Hamburg bis zu dieser Zeit 50 % zerstört <strong>und</strong><br />

35 % beschädigt, <strong>und</strong> nun kannst Du Dir vorstellen, wie Hamburg aussieht,<br />

<strong>und</strong> diesen Winter hat man jeden zweiten Baum gefällt, um die<br />

Bevölkerung mit Feuerung zu versorgen, denn Kohlen gibt es nicht. Aber<br />

wir frieren, denn was ist ein Zentner Holz pro Familie. Damit soll man<br />

kochen <strong>und</strong> heizen. Unser Gas ist immer noch nicht in Ordnung. Ebenso<br />

ist der elektrische Strom rationiert. Die Elektrischen Bahnen fahren auch<br />

nur an bestimmten St<strong>und</strong>en am Tage. Momentan fahren sie von 5 – 11<br />

<strong>und</strong> von 3 – 10, Sonnabend von 5 – 10 <strong>und</strong> von 1 – 10, sonntags von 6 – 10,<br />

4 -10.<br />

Die Angriffe auf Hamburg waren in den ersten Jahren zu ertragen, es<br />

wurden hier <strong>und</strong> da einzelne Häuser getroffen <strong>und</strong> man war neugierig<br />

<strong>und</strong> sah sich den Schaden an. Das änderte sich. Zuerst blieb ich beim<br />

Alarm in meinem Zimmer sitzen <strong>und</strong> verfolgte spannend die Flugzeuge,<br />

30<br />

<strong>Quickborn</strong>108-1.Korr. 30<br />

25.03.2008, 9:05 Uhr

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