50 Jahre Universitätsklinik für Orthopädie im AKH Wien
Jubiläumsbuch 2012: Die Erfolgsstory der universitären Orthopädie in Wien: 50 Jahre Universitätsklinik für Orthopädie im AKH Wien/125 Jahre Orthopädie im AKH Wien (Vorstand o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager
Jubiläumsbuch 2012:
Die Erfolgsstory der universitären Orthopädie in Wien: 50 Jahre Universitätsklinik für Orthopädie im AKH Wien/125 Jahre Orthopädie im AKH Wien (Vorstand o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager
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schen Aufschwung in der Größe der Operation<br />
brachte, blieb Dumreicher gerade auf dem Gebiet<br />
der Extremitätenchirurgie konservativ. In<br />
vielen Kliniken Europas wurden tuberkulöse Gelenke<br />
reseziert, wodurch viele Todesfälle an Miliartuberkulose<br />
und Sepsis sowie Amputationen<br />
und schwerste Verunstaltungen der Extremitäten<br />
verschuldet wurden. Dumreicher wandte<br />
sich gegen diese Methode. Bei der Osteomyelitis<br />
empfiehlt er, die Sequestrotomie in möglichst<br />
kleinen Schnitten, eventuell mit Zerstückelung<br />
des Sequesters, auszuführen. Dies ist ein durchaus<br />
moderner Gedanke. In seinen spärlichen<br />
Arbeiten berichtet er unter anderem über die<br />
Hüftverrenkung, die verzögerte Knochenbruchheilung.<br />
Dumreicher wird als hervorragender<br />
Lehrer gefeiert. Seine Schüler Eduard Albert,<br />
Carlos Nicoladoni und Leopold Ritter von Dittel<br />
sind als die eigentlichen Wegbereiter der modernen<br />
österreichischen <strong>Orthopädie</strong> anzusehen.<br />
Der Einfluss Billroths<br />
Es wäre aber falsch, sollte man annehmen, dass<br />
Billroth den orthopädischen Problemen ganz fern<br />
stand. In seinen früheren Arbeiten, noch aus<br />
Berlin aus der Langenbeckschen Klinik und aus<br />
Zürich, befasste er sich mit den Problemen der<br />
Extremitätenchirurgie. Besonders ist seine Arbeit<br />
über Knochenresorption zu erwähnen. Er veröffentlichte<br />
dabei interessante histologische Befunde<br />
über die Tätigkeit mehrkerniger Osteoklasten,<br />
womit er erkannte, dass es sich bei der Knochenresorption<br />
nicht um einen einfachen Zerfall der<br />
Knochenzelle mit ihrem umgebenden Lamellensystem,<br />
sondern um einen Resorptionsvorgang<br />
handelt.<br />
Wir finden in den Abhandlungen über Fußmissbildungen<br />
seinen Standpunkt, dass der kindliche<br />
Klumpfuß meist durch zwe<strong>im</strong>al wöchentlich gewechselte<br />
Gipsverbände zu heilen sei. Es ist dies<br />
die heutige Methode nach Kite.<br />
In der Amputationsfrage n<strong>im</strong>mt er energisch gegen<br />
die Prothesenbauer Stellung, die den Exartikulationsstumpf<br />
<strong>im</strong> Knie als minder günstig bezeichnen.<br />
Er sagt, es dürfte kein Zent<strong>im</strong>eter mehr von<br />
einer Extremität geopfert werden als notwendig<br />
und die Prothesenbauer haben sich den Verhältnissen<br />
unterzuordnen. Ein Standpunkt, den wir heute<br />
wohl nicht mehr ganz teilen können. Interessant<br />
ist eine Abhandlung über die Kniegelenksresektion<br />
in der Kriegschirurgie, die bei Kniedurchschüssen<br />
die Prognose wesentlich verbessert. Seine negative<br />
Ansicht über die Skoliosebehandlung, die in<br />
dem Ausspruch gipfelt, „der gute Schneider sei<br />
noch <strong>im</strong>mer die beste Behandlung der Skoliose”,<br />
wurde ihm als absolute Absage an die <strong>Orthopädie</strong><br />
angerechnet. In seiner <strong>Wien</strong>er Zeit kehrte er sich<br />
von den orthopädischen Problemen ab, und Adolf<br />
Lorenz, der die Größe Billroths restlos bewunderte,<br />
stellt fest, dass er von Billroth in der <strong>Orthopädie</strong><br />
nichts Wesentliches habe lernen können.<br />
Pioniere der <strong>Orthopädie</strong>:<br />
Eduard Albert, Dittel und Nicoladoni<br />
Dagegen sind Eduard Albert, Dittel und Nicoladoni<br />
Pioniere der <strong>Orthopädie</strong> geworden. Dittel veröffentlichte<br />
grundlegende Arbeiten über Skoliosen,<br />
Fußdeformitäten, Coxitis usw., bevor er sich der<br />
Urologie zuwandte, die ihn später in ihren Bann<br />
zog. Nicoladoni, ein einfallsreicher Chirurg, hat den<br />
Ruhm, als Erster die Sehne eines funktionstüchtigen<br />
Muskels auf einen gelähmten als Kraftspender<br />
übertragen zu haben. Eine Idee, die in der Folge<br />
in unzähligen Variationen geübt wurde und noch<br />
<strong>im</strong>mer Anwendung findet. Seine Arbeiten über die<br />
Schwächung der Achillessehnen in der Behandlung<br />
des Plattfußes zeigen sein funktionelles Denken.<br />
Zu erwähnen ist endlich seine klassische Beschreibung<br />
der Ischiasskoliose. Er erkennt, dass sie oft<br />
bei monoradikulären Störungen der Ischiasnerven<br />
vorkommen. Nicoladoni führte bis 1902 die chirurgische<br />
Klinik in Graz.<br />
Eduard Albert, der Nachfolger Dumreichers, in<br />
<strong>Wien</strong> <strong>im</strong>mer gerühmt wegen seines Lehrtalentes<br />
und seiner meisterhaften Sprache, befasste sich<br />
mit Vorliebe mit orthopädischen Problemen, die,<br />
wie erwähnt, Billroth in seiner <strong>Wien</strong>er Zeit nicht<br />
mehr fesselten. Die raschen Erfolge der Chirurgie<br />
ließen vielen Chirurgen kaum mehr Zeit, sich mit<br />
den zeitraubenden Problemen der Extremitäten zu<br />
befassen. Albert wollte nicht die waghalsige Entwicklung<br />
der modernen antiseptischen Chirurgie<br />
mitmachen. Sein Grundsatz war: „Eine riskante<br />
Operation darf nie vorgeschlagen werden, wenn<br />
der Vorteil nicht auf der Hand liegt.” So ist er wie<br />
Leopold Ritter von Dittel ein Gegner der Resektion<br />
tuberkulöser Gelenke. Er stellt ruhig und sorgt <strong>für</strong><br />
gute Lebensbedingungen. Der scharfe Löffel fresse<br />
den Tuberkelbazillus nicht auf. Die Gründung eines<br />
He<strong>im</strong>es in St. Pelagio in Istrien <strong>für</strong> knochentuberkulöse<br />
Kinder ist die erste Durchführung einer<br />
Heilstättenidee, seiner Zeit weit voraus. Eine neue<br />
125 <strong>Jahre</strong> <strong>Orthopädie</strong> <strong>im</strong> <strong>AKH</strong> <strong>Wien</strong> 13