Procycling 05.2019
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PASCAL ACKERMANN<br />
© BettiniPhoto<br />
ren ist, geschweige denn gewonnen hat. Und es<br />
ist auch nicht so, dass die deutsche Öffentlichkeit<br />
keine Zeit gehabt hätte, sich an Erfolg zu gewöhnen:<br />
In letzterer Kategorie haben die drei Topsprinter<br />
Marcel Kittel, John Degenkolb und André Greipel<br />
in den letzten rund zehn Jahren zusammen<br />
53 Etappensiege eingefahren.<br />
Warum also die ganze Aufregung im Flughafen<br />
von Frankfurt? Ganz einfach: Pascal Ackermanns<br />
sehr erfolgreiches zweites Jahr als Fahrer auf Topniveau.<br />
Er holte 2018 sechs Siege in der World-<br />
Tour, darunter zwei Etappen in Polen, eine Etappe<br />
der Tour de Romandie, eine der Dauphiné, eine<br />
Etappe der Tour of Guangxi und das RideLondon-<br />
Surrey Classic – Letzteres, obwohl er mitten im<br />
Rennen gestürzt war und die zweite Hälfte des<br />
Rennens auf dem Rad eines Teamkollegen fuhr.<br />
Ebenso eindrucksvoll, wenn auch auf HC-Ebene,<br />
waren Ackermanns zwei Siege bei schweren Eintagesrennen<br />
an einem einzigen Wochenende: das<br />
Brussels Cycling Classic (früher Paris–Brüssel)<br />
und der GP Fourmies.<br />
Es ist eine Weile her, seit der Bürgermeister seines<br />
Heimatorts Minfeld beschloss, Ackermann<br />
habe es verdient, dass eine Straße nach ihm benannt<br />
werde, selbst wenn Ackermann sich zu<br />
betonen beeilte, dass es eigentlich nur ein Weg<br />
gegenüber dem Haus seiner Eltern sei. Aber für<br />
as erste Mal, dass ich feststellte, welch großen<br />
Einfluss Pascal Ackermann auf den deutschen<br />
Radsport hat, befand sich keiner von uns auch nur<br />
annähernd im Bereich seiner Lieblingsjagdgründe:<br />
den Massensprints. Wir waren nicht einmal in der<br />
Nähe eines Radrennens. Auf dem Weg zur Polen-<br />
Rundfahrt im letzten Jahr hatte ich einen Anschlussflug<br />
in Frankfurt. Während ich wartete,<br />
tauchte ein mittelgroßer blonder Typ Mitte zwanzig<br />
in einem Bora-Trainingsanzug auf, dem eine<br />
Gruppe etwas beschwipster männlicher deutscher<br />
Fans mittleren Alters folgte, die alle aus vollem<br />
Halse „Ack-er-mann! Ack-er-mann!“ brüllten.<br />
Die spontane Bruderschaft versammelte sich<br />
dann um ihren Helden (der einfach höflich lächelte<br />
und sie gewähren ließ), als er inmitten einer<br />
Woge von herzhaftem teutonischen Gelächter,<br />
Schulterklopfen, geschrienen Unterhaltungen,<br />
Gruppenfotos und Selfies wartete.<br />
‚Wenn sie doch nur die Klappe halten würden‘,<br />
dachte ich damals. Aber 48 Stunden später wurde<br />
mir klar, warum diese Fans so enthusiastisch waren.<br />
Ackermann fuhr nicht nur auf der ersten<br />
Etappe der Polen-Rundfahrt, sondern auch auf<br />
der zweiten souverän zum Sieg.<br />
Noch verblüffender an seiner wachsenden Popularität<br />
ist, dass Ackermann noch kein einziges Monument<br />
und noch keine Grand-Tour-Etappe gefahdas<br />
breitere deutsche Publikum war Ackermanns<br />
Durchbruch die deutsche Meisterschaft 2018, als<br />
er Degenkolb im Sprint einer 20-köpfigen Gruppe<br />
schlug. André Greipel, der selbst dreimal deutscher<br />
Meister war, und Marcel Kittel ließ er ebenfalls<br />
hinter sich.<br />
Es stimmt, dass die letztjährigen deutschen<br />
Meisterschaften auf einem komplett flachen Kurs<br />
für einen Massensprint prädestiniert waren. Aber<br />
wie Ackermann <strong>Procycling</strong> erzählt, kam der Moment,<br />
wo es 2018 bei ihm „Klick“ machte, als<br />
seine Siegchancen viel geringer waren.<br />
„Es war die Etappe der Dauphiné, die ich gewonnen<br />
habe, die eigentlich keine Etappe war, wo<br />
ich dachte, dass sie mir liegt, weil sie so viele Anstiege<br />
hatte“, sagt er. „Aber ich hatte wirklich hart<br />
trainiert und im Winter ein paar Kilo abgenommen,<br />
weil ich beschlossen hatte, dass ein Etappensieg<br />
bei der Dauphiné das ideale Ziel für 2018<br />
für mich war. Aber das war, bevor ich das Profil<br />
des Rennens gesehen und erkannt hatte, dass es<br />
keine Etappen für einen Massensprint gibt.“<br />
Ackermanns Serie von Siegen im Sommer war<br />
auch der Tatsache zu verdanken, dass Bora–hansgrohe<br />
ihm nach und nach eine solide Gruppe von<br />
Arbeitern an die Seite gestellt hat. Dieser Prozess<br />
begann im Frühjahr 2018, als er anfing, viele<br />
zweite und dritte Plätze einzufahren, darunter vor<br />
allem ein zweiter Platz beim Scheldeprijs im April<br />
hinter einem anderen jungen Sprinter, Fabio Jakobsen<br />
von Deceuninck–Quick-Step.<br />
„Es war, als hätten wir ein Team um mich mit<br />
Rudy [Rüdiger Selig], Schilly [Andreas Schillinger]<br />
und [Michael] Schwarzmann geschaffen, all die<br />
Deutschen“, sagt er. „Sie haben mir gezeigt, wie<br />
man Energie spart, sich aus dem Wind hält und<br />
im Feld nach vorne fährt. Das war mein größter<br />
Schritt nach vorn im Frühjahr.“<br />
Er fügt hinzu: „Es war wie ein kleines Team<br />
und wir hatten viel Spaß. Dann haben wir bei der<br />
Romandie den ersten Sieg gefeiert und dachten,<br />
jetzt geht es los. Wir waren immer motivierter,<br />
und dann ging es einfach immer weiter. Aber erst<br />
gegen Ende der Saison, als ich ohne Mobiltelefon<br />
und ohne Ablenkungen im Wohnmobil durch Ka-<br />
Ackermann sagt, dass sein Bora-Team<br />
großen Anteil an seinen Erfolgen hat,<br />
darunter sein Sieg beim RideLondon 2018.<br />
46 PROCYCLING | MAI 2019