Procycling 05.2019
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DIE BERGE DES GIRO<br />
ETAPPE<br />
19<br />
S A N<br />
M A R T I N O<br />
D I<br />
CASTROZZA<br />
LÄNGE: 12,8 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 10,1 %<br />
Das Primiero-Tal zieht Kletterer<br />
seit dem 19. Jahrhundert an, als<br />
Bergsteigen als Sport in Mode<br />
kam. Der Ire John Ball, erster Vorsitzender<br />
des Alpenvereins, baute 1873 das<br />
erste Hotel in San Martino di Castrozza,<br />
und es etablierte sich bald als renommierter<br />
Urlaubsort für alle, die in den<br />
letzten Tagen des österreichisch-ungarischen<br />
Reichs Rang und Namen hatten.<br />
Der Anstieg war Schauplatz eines packenden<br />
Finales beim letzten Gastspiel<br />
des Giro 2009, obwohl das Ende ungeschrieben<br />
bleibt, nachdem Danilo Di<br />
Luca die Linie als Etappensieger überquert<br />
hatte. Der Sprint einer kleinen<br />
Gruppe am Gipfel bot sich perfekt an für<br />
den selbst ernannten „Killer“, der eine<br />
bissige Endschnelligkeit entwickelte.<br />
Aber ein positiver Test auf CERA bedeutete<br />
später, dass ihm der Sieg aberkannt<br />
wurde. Bei der Gelegenheit ermöglichte<br />
es eine Grande Partenza in Venedig, dass<br />
der Giro den Urlaubsort in den Dolomiten<br />
in der ersten Woche besuchte. Die Favoriten<br />
sollten sich dieses Mal in Acht nehmen,<br />
wenn der 13,6 Kilometer lange Anstieg<br />
zwei Tage vor dem Ziel in Verona zu<br />
bewältigen ist und die Erschöpfung für<br />
eine weit erlesenere Spitzengruppe sorgen<br />
sollte als die, die Di Luca vor zehn<br />
Jahren schlug. Da noch zwei entscheidende<br />
Tage anstehen, ist die endgültige<br />
Destination des Rosa Trikots oben in<br />
San Martino di Castrozza vielleicht<br />
noch nicht sichtbar, obwohl man die sogenannte<br />
enrosadira wird beobachten<br />
können, den Prozess, bei dem die exponierten<br />
Felsen der nahe gelegenen Dolomitengipfel<br />
sich rosa und violett färben,<br />
wenn die Sonne zu sinken beginnt. Eine<br />
passende Kulisse und Landschaft für<br />
den Schlussakt des Giro 2019.<br />
ETAPPE<br />
Der Croce d’Aune hat einen Ruf,<br />
der seine eher flüchtige Beziehung<br />
zum Giro Lügen straft. Der<br />
Anstieg stand bisher erst zweimal auf der<br />
Route – 1964, als Franco Balmamion das<br />
Rennen am Gipfel anführte, und 2009,<br />
als Manuel Belletti als Erster oben war.<br />
Aber sein Name ist ein klangvoller wegen<br />
der Ereignisse bei einem ansonsten in<br />
Vergessenheit geratenen GP della Vittoria<br />
im November 1927.<br />
Ein junger Fahrer namens Tullio Campagnolo<br />
führte das Rennen am Croce<br />
d’Aune an, aber aufgrund der steiler werdenden<br />
Steigung musste er den Gang<br />
wechseln – was seinerzeit bewerkstelligt<br />
wurde, indem man das Hinterrad umdrehte.<br />
Doch die Hände des in Vicenza<br />
geborenen Fahrers waren taub durch die<br />
20<br />
CROCE D’AUNE<br />
LÄNGE: 13,5 KM /<br />
Ø-STEIGUNG: 3,1 %<br />
bittere Kälte am Tag des Waffenstillstands.<br />
Als er sich abmühte, so die Legende,<br />
kam er auf die Idee, den Schnellspanner<br />
zu entwickeln. Selbst in einem<br />
Sport, der so von Mythen umrankt ist,<br />
haben wenige Firmen eine solche Entstehungsgeschichte<br />
wie Campagnolo.<br />
Die vorletzte Etappe der Corsa Rosa ist<br />
die brutale Dolomiten-tappone mit über<br />
5.000 Klettermetern dank Cima Campo,<br />
Passo Manghen und Passo Rolle vor dem<br />
Ziel am Croce d’Aune, obwohl das Rennen<br />
durch Ponte Oltra führt statt über<br />
die bekanntere Strecke durch die Brauerei-Stadt<br />
Pedavena. So wie die meisten<br />
schweren Etappen dieses Giro für die<br />
letzte Woche aufgespart werden, kommen<br />
die steilsten Abschnitte zum Gipfel<br />
hin, wo Rampen mit 16 Prozent warten.<br />
70 PROCYCLING | MAI 2019