Procycling 05.2019
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RETRO<br />
1982<br />
GOODWOOD:<br />
WO ALLES ANFING<br />
Bevor Yorkshire im kommenden September Gastgeber<br />
der Weltmeisterschaften sein wird, wurde das Ereignis<br />
zuletzt 1982 in Großbritannien ausgerichtet: in Goodwood.<br />
Und die Landschaft für den britischen Radsport hätte sich<br />
in den letzten 37 Jahren nicht stärker ändern können.<br />
Text William Fotheringham Fotografie John Pierce<br />
Am 5. September 1982 fuhr ich mit dem<br />
Fahrrad von North Devon zu einem<br />
Freund südlich von Exeter, um mir die<br />
Straßenweltmeisterschaft der Profis am Fernseher<br />
seiner Eltern anzuschauen. Wir hatten keinen<br />
Fernseher zu Hause, außerdem brauchte ich das<br />
Training. Dann radelte ich wieder nach Hause.<br />
Wenn ich mich richtig erinnere, drehten mein<br />
Schulfreund und ich eine kleine Runde, bevor wir<br />
uns das Rennen in der BBC-Sendung Grandstand<br />
anschauten, weil wir die 100 Meilen für den Tag<br />
abspulen wollen. Wenn man den Kids das heute<br />
erzählt, würden sie es nicht glauben.<br />
37 Jahre später richtet Großbritannien wieder<br />
die Straßen-Weltmeisterschaft aus: in Harrogate,<br />
Yorkshire, in einer Radsportumgebung, die sich<br />
radikal geändert hat. Man vergisst leicht, wie abgeschnitten<br />
vom europäischen Radsport Großbritannien<br />
einst war; inzwischen leben wir in einer<br />
Ära, in der Giro d’Italia und Tour de France England<br />
und Nordirland dreimal in sieben Jahren besucht<br />
haben, ganz zu schweigen von Rennen wie<br />
der Tour de Yorkshire und dem Surrey Classic, die<br />
daraus erwuchsen. Doch damals, in den frühen<br />
1980ern, war alles ganz anders.<br />
Ein paar Wochen, bevor die Elite des internationalen<br />
Radsports 1982 in Sussex auftauchte,<br />
hielt einer der Organisatoren der Weltmeisterschaft<br />
das britische Vereinsvolk zum Zuschauen<br />
an. „Wir wollen, dass die Leute ausnahmsweise<br />
einmal ihre Local 10-Nachrichten sausen lassen<br />
und Straßenarbeiter, die über die Preise meckern,<br />
ihre Fish and Chips vergessen“, sagte Ian Emmerson,<br />
der später Vorsitzende des britischen Radsportverbands<br />
wurde. Sein Totschlagargument<br />
folgte: „Es ist die letzte Chance in diesem Jahrzehnt,<br />
dass sie ihre Helden vom Kontinent leibhaftig<br />
in diesem Land sehen können.“<br />
Emmerson irrte sich, denn fünf Jahre später<br />
gründete Alan Rushton, der Mann, der die Weltmeisterschaft<br />
1982 organisierte, die Kellogg’s<br />
Tour of Britain für Profis. Aber in einem hatte er<br />
recht: Die Prominenz des Straßenradsports kam<br />
seinerzeit selten nach Großbritannien. Vor der<br />
Weltmeisterschaft 1982 hatte die Tour de France<br />
1974 einen kurzen, fast verstohlenen Besuch in<br />
Plymouth gemacht, und Leicester hatte die Weltmeisterschaft<br />
1970 ausgerichtet. Eddy Merckx<br />
und ein paar andere waren 1977 über den Eastway<br />
Cycle Circuit in London gesaust, und das war<br />
es so ungefähr.<br />
Das fast völlig fehlende Profil des Radsports auf<br />
nationaler Ebene erklärt, warum die Weltmeisterschaft<br />
1982 in sportlicher Hinsicht ein Erfolg,<br />
aber in finanzieller Hinsicht ein Mühlstein war.<br />
Die Zeitungen handelten die US-Brauerei Michelob<br />
im Januar 1982 als Titelsponsor, doch der Vertrag<br />
kam nicht zustande. Der britische Radsportverband<br />
trennte sich im März vom Promoter John Burns,<br />
fünf Monate, bevor die Bahnrennen auf der nicht<br />
überdachten Radrennbahn von Leicester stattfinden<br />
sollten.<br />
Es wurde noch schlimmer, als der Verband<br />
und Burns ein juristisches Gezerre darüber anfingen,<br />
wie viel Geld man dem ehemaligen Chef<br />
der Titelkämpfe schuldete. Ein neuer Promoter<br />
musste von heute auf morgen gefunden werden;<br />
der Mann, der einsprang, war Rushton – relativ<br />
unerfahren, aber früherer PR-Mann für Viking<br />
Cycles. Klugerweise spielte er die Erwartungen<br />
herunter, machte klar, dass in der Zeit kein Titelsponsor<br />
gewonnen werden konnte, und konzentrierte<br />
sich auf kleinere Verträge.<br />
Schließlich zählten zu den Sponsoren Campagnolo,<br />
das verstaatlichte Fährunternehmen Sealink,<br />
Longines und Le Coq Sportif, während die<br />
Universität Leicester ihre Studentenwohnheime<br />
als Unterkunft für die Fahrer bereitstellte. Die<br />
Stadt Leicester ließ 78.000 Pfund springen, aber<br />
der größte Beitrag kam vom Sportministerium mit<br />
120.000 Pfund. Der offizielle Begleitwagen war<br />
der unsägliche Austin Allegro; die Materialwagen<br />
waren Ladas in klassischer Kastenform.<br />
Der Kurs des Straßenrennens von 1970 im<br />
Mallory Park war heftig dafür kritisiert worden, zu<br />
leicht gewesen zu sein; 1982 entschied sich der<br />
britische Verband für einen Rundkurs, der auf<br />
MAI 2019 | PROCYCLING 97