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Procycling 05.2019

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GIRO D’ITALIA<br />

© BettiniPhoto (Farrand), Yuzuru Sunada (Konyshev), Tim de Waele/Getty Images<br />

„DER GIRO IST EINE<br />

METAPHER FÜR DAS LEBEN“<br />

STEPHEN<br />

FARRAND<br />

Journalist<br />

Beim Giro d’Italia<br />

ist das italienische<br />

Leben drei Wochen<br />

lang in seiner ganzen<br />

Fülle zu sehen.<br />

Ich liebe den Giro d’Italia, weil er viel mehr ist als nur ein<br />

Radrennen: Er ist eine sportliche Metapher für die unfehlbare<br />

Liebe der Italiener zum Leben in einem oft chaotischen Land.<br />

Niemand ist so enthusiastisch wie die italienischen Tifosi, die den<br />

Fahrern am Straßenrand in den Bergen mit den Armen zuwinken<br />

und sie anfeuern; niemand brennt so darauf, die Fahrer zu sehen,<br />

wie die Kinder im Süden.<br />

Das Frühjahr geht während des Giro in den Sommer über und<br />

bringt jeden Tag das Beste aus dem Land hervor. Wenn das Interesse<br />

an dem Rennen steigt, steigt auch die Zahl der Leute, die<br />

Rosa tragen.<br />

Der Giro ist ein dreiwöchiger Crashkurs in italienischer Kultur,<br />

Soziologie und natürlich Gastronomie. Ich habe schnell gelernt, es<br />

den italienischen Journalisten nachzumachen, die dem Giro mit<br />

einem Restaurantführer im Handschuhfach folgen, weil ein gutes<br />

Abendessen der einzige Moment ist, wo man nach einem langen<br />

Tag auf der Straße abschalten kann.<br />

Ich habe den Giro d’Italia 1994 das erste Mal als Journalist<br />

begleitet, wo er wie dieses Mal in Bologna startete. Marco Pantani<br />

hatte in jenem Jahr seinen Durchbruch und inspirierte eine ganze<br />

Generation von Tifosi vor seinem ikarusgleichen Sturz und tragischen<br />

Tod. Die Italiener warten auf den nächsten großen campione,<br />

aber werden jeden anfeuern, der in Bologna startet und in Verona<br />

ankommt. Das haben sie bei Froome im letzten Jahr<br />

gemacht, und sie werden es wieder tun.<br />

Ich kann es kaum abwarten, in diesem Jahr wieder dabei zu<br />

sein und die Kombination aus Corsa Rosa, La Dolce Vita, Mortadella,<br />

Maglia Rosa, Parmigiano, Lambrusco und großem Radsport<br />

zu genießen.<br />

„BEI MEINEM<br />

ERSTEN GIRO<br />

HATTE ICH<br />

NULL DRUCK“<br />

DIMITRI KONYSHEV<br />

Sportlicher Leiter Katusha Alpecin<br />

Ich bin den Giro in meinem ersten Jahr<br />

als Profi gefahren, 1989 für das Team<br />

Alfa Lum. Ich war Teil der ersten Welle<br />

von ehemaligen Sowjetfahrern im Profi-<br />

Peloton. Es war meine erste große Rundfahrt,<br />

deswegen habe ich immer versucht,<br />

in die Ausreißergruppe zu gehen, die<br />

Sprints zu bestreiten, alles zu machen. Ich<br />

fuhr wie ein Amateur in der Welt der Profis.<br />

Wenn du Profi wirst, lernst du normalerweise<br />

das Handwerk von jemandem, der<br />

erfahrener ist. Aber als ehemalige Sowjetfahrer<br />

hatten wir niemanden, der uns das<br />

beibrachte. Wir brachen schließlich alle<br />

ungeschriebenen Gesetze des Giro.<br />

Was waren das für Gesetze? Höchstens<br />

drei Fahrer in der ersten Ausreißergruppe.<br />

Keine Angriffe bei Kilometer null, weil das<br />

Peloton voller alter Leute ist und sie ihre<br />

Motoren erst aufwärmen müssen. Dann<br />

waren die letzten zwei Stunden das genaue<br />

Gegenteil: Da wurde am Anschlag<br />

gefahren und ich litt immer. Ich stürzte<br />

schließlich und musste das Rennen verlassen.<br />

Irgendein Zuschauer wollte ein<br />

Foto machen und ich fuhr in seine Kamera.<br />

Wir hatten einen italienischen Direktor,<br />

Primo Franchini, aber ... Die Sprachbarriere<br />

war eine große Hürde. Wir<br />

brauchten Jahre, bis wir uns verstanden.<br />

Wir hatten keinen Funk, keinen Fahrer,<br />

der für uns zuständig war, niemanden,<br />

der uns sagte, was zu tun war. Wladimir<br />

Pulnikow wurde Gesamt-Elfter und gewann<br />

das Trikot des besten Jungprofis,<br />

aber wir fuhren einfach, wie wir wollten.<br />

Es hat Spaß gemacht – null Druck und<br />

null Verantwortung.<br />

58 PROCYCLING | MAI 2019

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