RETRO 1982 EIN ITALIENISCHER FAN WURDE FESTGENOMMEN, WEIL ER DIE STRASSE VOR DEM RENNEN ANGEMALT HATTE; ER WOLLTE ZWEI AMERIKANER UNTERSTÜTZEN. einer Autorennstrecke in Goodwood in Suffolk basierte. Die Acht, die der Kurs in Goodwood beschrieb, sollte von den Profis 17-mal, von den Amateuren zwölfmal und von den Frauen nur viermal absolviert werden, während das 100-Kilometer-Mannschaftszeitfahren der Amateure weitgehend auf dem Straßenrundkurs beruhte. Wie sich später herausstellte, hätte es, wenn das Profirennen sieben Minuten länger gedauert hätte, keine Bilder aus der Luft gegeben, weil der Hubschrauber alle 45 Minute auftanken musste und ihm gerade der Sprit auszugehen drohte – eine passende Metapher für eine Weltmeisterschaft, die mitunter auf gut Glück zu laufen schien. Zwei Geschichten illustrieren das Aufeinanderprallen der Kulturen: Ein italienischer Fan wurde von der Polizei festgenommen, weil er die Straße vor dem Rennen angemalt hatte; er hatte versucht, zwei Amerikanern zu unterstützen, „LeMond“ zu schreiben, und kam nicht dazu, das letzte „d“ zu malen. Er wurde wegen Sachbeschädigung zwei Tage und Nächte eingesperrt und musste 99 Pfund Strafe zahlen. Die andere Geschichte handelt von einem Vereinsfahrer, der mit dem Rad aus dem Norden gekommen war. Man sagte ihm, er müsse drei Pfund Eintritt für die Rundstrecke bezahlen; da drehte er sich auf dem Absatz um und fuhr nach Hause. DAS WETTER SPIELTE NICHT MIT Amateurfunktionäre arbeiteten Tag und Nacht, um die Weltmeisterschaft 1982 auf die Beine zu stellen, was den Radsportjournalisten Martin Ayres dazu veranlasste, zu schreiben: „Es gab einflussreiche Leute im britischen Verband, die glaubten, dass es sich einfach nicht lohnt, die Weltmeisterschaften auszurichten, so hoch war der menschliche Preis.“ Damals war der Sport noch relativ klein und große internationale Radrennen waren eine Seltenheit in Großbritannien. Das sehr erfolgreiche Milk Race war die Ausnahme, aber der Verband war unwillig oder unfähig, sich diese offenkundige Expertise zunutze zu machen. Als die Titelkämpfe losgegangen waren, war die erste Sorge das Wetter. Es hatte in den 1970ern vergebliche Versuche gegeben, ein dauerhaft überdachtes Velodrom in Großbritannien zu bauen – in Leeds und Birmingham waren die Pläne am weitesten fortgeschritten –, und die Organisatoren mussten die offene Bahn in Leicester nutzen und teuer dafür bezahlen: Zwei Renntage gingen durch den Augustregen verloren, 850 Pfund Eintrittsgelder wurden erstattet und 500 Pfund für Plastikplanen ausgegeben, damit die Bahn sich nicht vollsaugte. Natürlich kam in dem Moment, als die Planen verlegt waren, die Sonne raus. Das Gute war, dass es keinen Druck durch Liveübertragungen gab, da die Berichterstattung auf die Highlights beschränkt war, welche die BBC spät abends zeigte; nur die Straßenrennen am Wochenende liefen live in Grandstand. Schließlich reichten die insgesamt 25.000 Zuschauer in Leicester an den sechs Tagen, darunter 6.000 am Sonntag, um die Organisatoren zufriedenzustellen. Das Highlight in Leicester sollte der „Verfolgungskampf des Jahrhunderts“ sein – der frühere britische Meister Sean Yates gegen den Weltmeister von 1980, Tony Doyle, den Franzosen Alain Bondue und den Dänen Hans-Henrik Ørsted. Die Enttäuschung war groß, als sich Bondue vor Ørsted durchsetzte, während der Italiener Maurizio Bidinost Doyle die Bronzemedaille wegschnappte. Der Japaner Koichi Nakano gewann seinen sechsten Profititel im Sprint, während der Kanadier Gordon Singleton auf der letzten Runde einen spektakulären Crash hinlegte; die Ostdeutschen dominierten das Amateurgeschehen, und die Russen gewannen die Mannschaftsverfolgung Mandy Jones gewann als einzige Britin eine Goldmedaille. Tony Doyle verpasste in der Verfolgung knapp eine Bronzemedaille. 98 PROCYCLING | MAI 2019
RETRO 1982 MAI 2019 | PROCYCLING 99