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Procycling 05.2019

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GIRONA<br />

Aber Radsportler integrieren sich selten ganz.<br />

Sie leben ein nomadisches Leben, und ihre Karrieren<br />

sind verbunden mit einem Zeitlimit für ihren<br />

Anlass, in Girona zu leben. Die Mehrheit hat keine<br />

Familie, wenige schlagen dauerhafte Wurzeln<br />

und noch weniger sprechen Katalanisch. Radprofis<br />

können nicht bis tief in die Nacht in der Bar<br />

sitzen, cañas schlürfen und an patatas bravas<br />

knabbern, und die Einheimischen gehen nicht<br />

morgens um halb zehn Rad fahren. Man könnte<br />

wahrscheinlich sein ganzes Erwachsenenleben<br />

hier verbringen und trotzdem noch als Außenseiter<br />

gelten. Die katalanischen Traditionen sind sehr<br />

eigen und wie die Sprache mit Jahrhunderten Geschichte<br />

und einer umstrittenen Identitätspolitik<br />

verbunden. Sie werden stolz gefeiert und vehement<br />

verteidigt.<br />

Das ist alles gut und es herrscht ein angenehmes<br />

Gefühl von leben und leben lassen. Vieles,<br />

was die Radsportler mitgebracht haben, kommt<br />

bei den Einheimischen gut an: Wenn Sie ins La<br />

Fabrica gehen, das berühmte Café, das dem früheren<br />

Profi Christian Meier und seiner Frau Amber<br />

gehört, werden Sie ebenso wahrscheinlich<br />

Geschäftsleute aus der Gegend sehen, die sich<br />

Kaffee und Gebäck schmecken lassen, wie Profis,<br />

Breitensportler, die einen auf Profi machen, und<br />

weltumreisende Tripadvisor-Junkies. Aber zwischen<br />

all den prokatalanischen Unabhängigkeitsflaggen<br />

und den katalanischen Esteladas, die im<br />

Wind flattern, sind Schilder zu sehen, auf denen<br />

steht: „Barri – Pisos Turístics“ und „Jedes Touristenapartment<br />

ist eine Wohnung, die den Einheimischen<br />

weggenommen wurde!“<br />

Nach Angaben der Gruppe „Més Barri Girona“,<br />

die sich für eine Begrenzung der Touristenapartments<br />

einsetzt, ist die Anzahl von Wohnungen,<br />

die kurzzeitig an Urlauber vermietet werden –<br />

über Airbnb und andere Anbieter –, in den drei<br />

Jahren vor 2018 von 179 auf 614 gestiegen, wobei<br />

sich die meisten davon auf das Barri Vell konzentrieren<br />

und in der gleichen Zeit um 25 Prozent<br />

zugenommen haben. Gleichzeitig sind die Immobilienpreise<br />

allein 2018 in Girona um 27 Prozent<br />

gestiegen, was eine der wohlhabendsten Ecken<br />

Spaniens zu einer der teuersten macht.<br />

Das ist nicht die Schuld der Radsportler. Es<br />

ist Teil des natürlichen Zyklus der (spanischen)<br />

Immobilienpreise, ein fremder Begriff für alle, die<br />

aus einem Land kommen, wo Vermögen in Immobilien<br />

angelegt wird und die Regierungen (vernünftigerweise)<br />

versuchen, es so stabil wie möglich<br />

zu halten. Es hat auch viel mit dem Brexit zu<br />

tun, da viele neue Käufer spanische Wohnungen<br />

in Anbetracht der drohenden Krise als sicherere<br />

Anlage betrachtet haben als britischen Beton.<br />

Die Stadtverwaltung ist im Begriff, einen Dialog<br />

mit den Einwohnen und Geschäftsleuten zu beginnen,<br />

wie mit der ansteigenden Welle umgegangen<br />

werden soll. Aber Girona ist Teil einer sich<br />

globalisierenden Welt, und seine mittelalterlichen<br />

Steine liegen im hellen Sonnenlicht des 21. Jahrhundert,<br />

ob es ihnen gefällt oder nicht.<br />

Radsport ist Teil dieser modernen Welt. Einige<br />

Leute denken, dass das moderne Leben Mist ist,<br />

doch für die große Mehrheit ist Girona immer<br />

noch ein wunderbarer Ort, um dort zu leben oder<br />

hinzureisen. Haben die Radsportler Girona also<br />

ruiniert? Nein. Jedenfalls noch nicht.<br />

Nathan Haas von Katusha Alpecin<br />

gehört zu den Profis, die in Girona leben.<br />

Der Tourismus bedeutet für Girona auch<br />

Wohnungsmangel und steigende Mieten.<br />

MAI 2019 | PROCYCLING 77

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