Procycling 05.2019

GIRO D’ITALIA
„ALLEINE DIE ERWÄHNUNG DES MORTIROLO
VERURSACHT BEI MIR GÄNSEHAUT“
DAVIDE
FORMOLO
Bora–hansgrohe,
Etappensieger
beim Giro 2015
Meine erste Erinnerung an den
Giro war, Ivan Basso 2010 den
Zoncolan hochfahren zu sehen
– der Blick in seinen Augen, als er dort
hochfuhr, auf der Jagd nach dem Sieg. Das
war eine Inspiration für mich als junger
Fahrer. Selbst heute noch bekomme ich
eine Gänsehaut, wenn jemand beiläufig
den Gavia oder den Mortirolo erwähnt.
Aber wenn du bei der Giro-d’Italia-Präsentation
auf der Bühne stehst und der
Sprecher deinen Namen ruft, das ist für
mich der Moment, in dem es dir wirklich
bewusst wird, was du zu tun im Begriff
bist, wo du stehst. Alles führt auf diesen
Punkt hin, das ganze Training, all die
Rennen und der Gedanke: Ich habe so
hart dafür gearbeitet. Dann denkst du nur:
Jetzt wollen wir es wissen.
Ich war der Erste in meiner Familie, der
den Giro im Fernsehen verfolgt hat. Das ist
ungewöhnlich, denn die Italiener sind eigentlich
sehr patriotisch bei ihren Rennen
und schauen sie sich alle im Fernsehen an.
Sie stellen den Giro, San Remo und Il Lombardia
über die größten Rennen wie die
Tour. Das Erste, was Italiener einen italienischen
Profi fragen, ist, ob er am Giro teilgenommen
hat, nicht an der Tour. Auch
deswegen war mein Etappensieg in La Spezia
2015 so besonders. Es war der Höhepunkt
meiner bisherigen Karriere. Es war
die typische schwere Übergangsetappe des
Giro – kurvenreiche, technisch anspruchsvolle
Straßen, bergauf, bergab, links, rechts
den ganzen Tag. Alle waren erschöpft.
Ich bin seitdem oft auf Gesamtwertung
gefahren, was es schwerer macht, aus
Ausreißergruppen heraus den Etappensieg
zu holen. Und um ehrlich zu sein,
hatte ich in der letzten Woche immer zu
kämpfen, weil ich da sehr erschöpft war.
Die Unterstützung aller Leute in meinem
Ort zu haben – einem sehr kleinen Ort,
aus dem vorher nie ein Profi hervorgegangen
ist –, war gut. Aber manchmal war ich
in dieser letzten Woche enttäuscht, als
hätte ich sie hängenlassen. Das Einzige,
was ich denken kann, ist, dass ich jung
bin und den größten Teil meiner Karriere
noch vor mir habe.
© Gruber Images, Josep Lago/Getty Images (Formolo)
MAI 2019 | PROCYCLING 59