Zeitsprung
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70 Jahre Pforzheimer Zeitung + 225 Jahre Zeitung in Pforzheim<br />
111<br />
Besonders bewegt hat die<br />
Liebesgeschichte von Eugen Ruhl und<br />
Dietlinde Hess. Die PZ hat 2017 über sie<br />
berichtet. Beide haben nach dem Tod ihrer<br />
Ehepartner eine neue Liebe gesucht – und<br />
sich gefunden. Derzeit befinden sie sich im<br />
Umzugsstress: „Mein Schatz zieht zu mir<br />
nach Dillweißenstein“, berichtet Dietlinde<br />
Hess PZ-Redakteurin Miriam Schrader am<br />
Telefon. „Wir sind glücklich, viel unterwegs<br />
und es geht uns gut.“ Und weil die späte<br />
Liebe vielen Hoffnung gemacht hat, lesen<br />
Sie hier noch einmal, wie die beiden sich<br />
gefunden haben.<br />
von Lisa Belle<br />
Gesucht<br />
und<br />
gefunden<br />
Eugen Ruhl und Dietlinde Hess sind auch heute noch glücklich miteinander.<br />
Auch ein betagteres Herz kann sich<br />
vor Glück fast überschlagen,<br />
wenn die Schmetterlinge im<br />
Bauch nach Jahrzehnten wieder<br />
die Flügel ausbreiten – und sich<br />
plötzlich alles genau so anfühlt<br />
wie beim ersten Mal, als einem die Liebe begegnete.<br />
Eugen Ruhl (heute 86) und Dietlinde Hess (79)<br />
haben einen Weg aus der Einsamkeit gesucht und<br />
einander gefunden. Glück am Ende eines leidvollen<br />
Weges. Hinter beiden liegt eine Zeit des<br />
schmerzvollen Abschieds von ihren Ehepartnern,<br />
die sie auf dem Weg aus dem Leben begleitet<br />
haben.<br />
47 Jahre lang war Dietlinde Hess mit ihrem<br />
Mann verheiratet. Viele seiner letzten hat sie ihn<br />
gepflegt, bevor er vor einigen Jahren gestorben ist.<br />
Ein „langsamer, schleichender Verfall“, sagt sie. Als<br />
sein drohender Tod dann als harte Realität über sie<br />
hereinbrach, hat es Dietlinde Hess dennoch den<br />
Boden unter den Füßen weggerissen. „Für mich<br />
gibt es ein Leben nach ihm, das war mir immer<br />
klar“, sagt sie heute. Sie<br />
sitzt in ihrem geblümten Sommerkleid<br />
auf dem Balkon, die Nagold plätschert glitzernd in<br />
der Sommersonne dahin. Als kämpfe dieser Mainachmittag<br />
gegen die düsteren Erinnerungen, die<br />
sie in Worte zu fassen versucht. „Als er gestorben<br />
ist, ist von mir eine Haut abgefallen. Sie lag da, wie<br />
ein grauer Schleier“, sie zeigt auf den Boden zu ihren<br />
Füßen. „Über ein halbes Jahr lang war ich wie<br />
gedopt, habe weder Freude noch Leid empfunden.<br />
Ich konnte nicht weinen. Ich konnte gar nichts.“<br />
Dietlinde Hess sucht den Blick ihres neuen Partners,<br />
Eugen Ruhl, der ihr gegenüber sitzt. Ein Halt,<br />
wenn die Schatten der Vergangenheit zu düster<br />
werden. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis habe<br />
sie getragen, sagt Hess. Durch die schweren Jahre<br />
der Pflege, durch die noch schwereren danach.<br />
„Für mich war trotzdem immer klar, ich will nicht<br />
allein bleiben“, sagt Hess. Das sei eine Lebenseinstellung.<br />
„Ich bin ein<br />
Familientier. Ich will<br />
jemanden umsorgen,<br />
aber auch für mich jemanden<br />
haben, der<br />
mir Zuwendung und<br />
Nähe gibt.“ Dass gerade<br />
der letzte Punkt bei<br />
Männern in fortgeschrittenem<br />
Alter eher<br />
Fluchtinstinkte auslöst,<br />
hat die ehemalige<br />
Erzieherin in den vergangenen<br />
Jahren<br />
mehrfach erfahren<br />
müssen. Ein Freund<br />
hilft ihr bei der Anmeldung<br />
auf einer Online-Partnerbörse.<br />
FOTO: PZ-ARCHIV/SEIBEL<br />
„Aber es war eine Katastrophe,<br />
was sich da<br />
angeboten hat“, sagt Hess. „Viele Männer können<br />
in diesem Alter mit bestimmten Dingen nicht umgehen.<br />
Wenn sich ihre Männlichkeit, die immer aktiv<br />
und selbstverständlich war, verändert, halten<br />
sie Frauen lieber auf Abstand“, hat sie festgestellt.<br />
Auch ihre Aktivität, ihre Position als Vorsitzende<br />
des Bürgervereins Dillweißenstein – „das macht<br />
vielen Herren schon sehr zu schaffen“. Es habe lange<br />
gedauert, bis sie tatsächlich gespürt habe, dass<br />
sie bereit für eine neue Partnerschaft sei – und ihr<br />
Profil auf der Plattform löschte. „In dem Moment,<br />
als ich die Suche abgehakt habe, da kam er.“<br />
Er, das ist Eugen Ruhl, ein Mann, dem man seine<br />
Jahre kaum abkaufen mag. Einer mit einem offenen<br />
Herzen, der noch den Schalk im Nacken hat<br />
und ein lausbubenhaftes Blitzen in den Augen. Nur<br />
wenn der Flachgraveurmeister und Künstler von<br />
seiner Frau spricht, die er 1957 geheiratet hat und<br />
die vor einigen Jahren nach langer Krankheit gestorben<br />
ist, kommt die Stimme des sonst so schlagfertigen<br />
humorvollen Mannes ins Stocken. Vom<br />
Krankenhaus ins Pflegeheim und wieder zurück,<br />
immer wieder – Ruhl hatte „eine schwere Zeit“,<br />
sagt er. Dann kommen ihm für einen Moment die<br />
Tränen. Ruhe herrscht auf der Terrasse, während<br />
auf dem Tisch langsam der Erdbeerquark<br />
warm wird und Ruhl seinen Gefühlen<br />
wieder die Fassung abzuringen versucht.<br />
Nun werde er sie meistern, die<br />
schwere Zeit – „dank ihr“, er deutet auf<br />
Dietlinde Hess, die mit Zärtlichkeit und<br />
tiefem Verständnis im Blick jeden seiner<br />
Sätze verfolgt hat. „Solche Erlebnisse verbinden<br />
einfach“, sagt er. Dass beide Ähnliches<br />
erlebt haben, mache es leichter, sagt<br />
Hess. „Weil man darüber reden<br />
kann. Wenn einer von uns plötzlich<br />
da sitzt und weint – das zu verstehen,<br />
zu begreifen und hinzunehmen,<br />
ist für jemanden, der das<br />
nicht erfahren hat, nicht leicht.“<br />
Auch Eugen Ruhl hat eine neue<br />
Partnerin gesucht – nicht im<br />
Internet, sondern auf der<br />
Straße: „Ich bin auf viele Veranstaltungen<br />
gegangen, dachte,<br />
ich probier’ mal was – aber es hat nie gepasst.“<br />
Bis zu diesem einen schicksalhaften Tag im Februar<br />
2017. Es ist der schmutzige Donnerstag, auf dem<br />
Ludwigsplatz in Dillweißenstein ist der Schneemann<br />
längst erloschen, als sich die Leben von Ruhl<br />
und Hess kreuzen und ineinander verflechten. Sie<br />
stehen in einer Gruppe von Menschen, alle mit einem<br />
Becher Glühwein in der Hand – außer ihnen<br />
beiden. „Wir haben uns im selben Freundeskreis<br />
bewegt, aber zuvor noch nie getroffen“, sagt Hess.<br />
„Da kam er und hat gefragt, ob er mir einen Glühwein<br />
mitbringen soll.“ Und das, obwohl Ruhl keinen<br />
Schimmer hatte, wen er da vor sich hat. Aber<br />
er ist eben ein Gentleman alter Schule. Dietlinde<br />
Hess bejaht. „,Pass auf, der ist heiß‘, hat er gesagt,<br />
als er mir die Tasse gegeben hat. So hat es angefangen.“<br />
Ruhl lädt sie zum Pizzaessen ein und bringt<br />
Dietlinde Hess danach nach Hause – bis vor die<br />
Tür. „Es hat einfach gezündet“, sagt er. So richtig<br />
funkt es dann beim nächsten zufälligen Treffen:<br />
„Da hat er mich gedrückt wie ein Weltmeister,<br />
rechts und links gebusselt – und ich bin dagestanden,<br />
mir hat die Hälfte gefehlt“, erinnert sich Hess<br />
an den Moment, der ihr Herz entflammt hat. „Da<br />
war eigentlich alles geschwätzt.“ Verliebt zu sein,<br />
das sei auch in ihrem Alter „kein Haar anders“ als<br />
in jungen Jahren: „Es sind die gleichen Gedanken,<br />
die gleichen Ängste“, sagt sie. Wie man sich aneinander<br />
herantaste, beobachte, wie der andere mit<br />
bestimmten Dingen umgehe – alles wie einst. Das<br />
Einzige, das sich vielleicht verändert hat: „Man<br />
kommt schneller dahin, dass man die Nähe zulässt.“<br />
Darin, dass Sexualität auch in einer Beziehung<br />
im hohen Alter eine große Rolle spielt, sind<br />
sich die beiden einig. „Daran ist nicht viel anders<br />
als früher“, sagt Hess. „Es kommt eben darauf an,<br />
was Sie zulassen. Sie können alles zulassen oder<br />
Tabus aufbauen und sagen, in bestimmten Regionen<br />
möchte ich mich nicht von dir berühren lassen.“<br />
Das müsse jeder für sich selbst entscheiden.<br />
Aber Hess und Ruhl sind nun mal keine Typen für<br />
halbe Sachen. „Wenn man es will, funktioniert<br />
auch im Alter ganz viel – und da ist die Nähe das<br />
Allerschönste.“ Doch es gibt auch Wölkchen am rosa<br />
Himmel: „Wir sind beides gestandene Persönlichkeiten<br />
und viele Jahre gewohnt, zu agieren“,<br />
sagt Hess, „jetzt zuzulassen, dass der andere vielleicht<br />
anders agiert, ist manchmal schwierig.“<br />
„Aber so langsam krieg’ ich sie hin“, sagt Ruhl und<br />
lacht schelmisch. Er habe sich schließlich der Widerspenstigen<br />
Zähmung zur Maxime gemacht, gibt<br />
Hess zu – „und das Schlaue ist: Er kriegt’s wirklich<br />
hin.“ Es sei ein Geben und Nehmen zwischen ihnen<br />
beiden. „Sie weiß alles, macht alles – das kann<br />
man gar nicht beschreiben“, müht sich Ruhl, seine<br />
Bewunderung in Worte zu fassen. „Wie viel Liebe<br />
ich von ihm kriege – und wie er das auch zeigen<br />
kann, ist unglaublich“, sagt Hess.