07.12.2020 Aufrufe

SOCIETY 378

Die neue SOCIETY-Ausgabe mit den Fokusländern United Kingdom und China, Interviews mit Botschaftern von u.a. Frankreich, Kroatien, Mexiko. Porträts von Prinz Charles, Chris Lohner und Hugo Portisch.

Die neue SOCIETY-Ausgabe mit den Fokusländern United Kingdom und China, Interviews mit Botschaftern von u.a. Frankreich, Kroatien, Mexiko.
Porträts von Prinz Charles, Chris Lohner und Hugo Portisch.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

SOCIETY

Montenegro: Machtwechsel

im Balkanstaat

„In der Mitte des Flusses wechselt man nicht die Pferde“ – lautet ein

Sprichwort. Genau das soll nun in Montenegro passieren, wobei eher

die Reiter abgeworfen werden, die das Land seit 30 Jahren führen.

Denn die “DPS, die Partei der Macht“,

unter Präsident Milo Djukanovic blieb

bei der Parlamentswahl Ende August

zwar klar stärkste Kraft, verlor aber mit

ihren Koalitionspartnern knapp die absolute

Mehrheit. Gemeinsam mit Sozialdemokraten

und den Parteien der

nationalen Minderheiten kommt die

DPS auf 39 Sitze; dagegen hat die Opposition

unter Führung proserbischer

Parteien 41 Mandate. Im Parlament mit

seinen 80 Sitzen gibt es zwei wilde Abgeordnete,

neun Klubs und 13 Parteien.

Die bisherige Opposition besteht aus

fünf Fraktionen, in denen prorussische,

serbische Nationalisten, gemäßigte

serbische und prowestliche Politiker

ebenso vertreten sind. Sie eint nur die

Gegnerschaft zu Milo Djukanovic; er

bleibt zwar weiter Staatspräsident aber

seine DPS soll endlich in Opposition

geschickt werden.

ORF-Balkan- und Ukrainekorrespondent

Mag. Christian Wehrschütz

Doch bei diesem Unterfangen gibt

es beträchtliche Probleme. Neuer

Regierungschef soll Zdravko Krivokapic

werden. Der 62-jährige war bis

vor wenigen Monaten ein politisch

unbekannter Professor für Maschinenbau

an der Universität in Podgorica.

Bekannt wurde er als eine zentrale Figur

der Massenproteste gegen ein Religionsgesetz,

mit dem die Regierung

die serbisch-orthodoxe Kirche unter

staatliche Kontrolle bringen wollte.

Einerseits ist die Rechtsstellung dieser

Kirche nicht ausreichend geregelt, die

auch die montenegrinische Nationsbildung

erschwert; andererseits versuchte

das Gesetz mit juristisch strittigen

Mitteln Eigentumsfragen zu seinen

Gunsten zu klären. Das führte dazu,

dass die serbische Orthodoxie unter

Metropolit Amfilohie (Radovic) massiv

in den Wahlkampf eingriff und auch

Zdravko Krivokapic als Spitzenkandidat

der Opposition durchsetzte. Auch

seine Ministerliste enthält so manche

Person, die der Orthodoxie nahesteht.

Sie ist aber derzeit durch den Tod von

Amfilohie Ende Oktober führungslos;

politisch hat damit Krivokapic seine

wichtigste Stütze verloren. Er macht im

persönlichen Gespräch den Eindruck

eines anständigen Menschen; doch

für ihn und all seine künftigen Minister

gilt, dass sie weder über politische

Erfahrung verfügen noch als wirkliche

Experten angesehen werden können.

Doch gerade eine Experten-Regierung

war das zentrale Versprechen der

aus drei Bündnissen bestehenden

Opposition. Von ihnen soll im Kabinett

nur die kleinste Gruppe, die grünbürgerliche

Partei URA, prominent

vertreten sein, die vom Albaner Dritan

Abazovic geführt wird. URA hat zwar

nur vier Abgeordnete, ist aber nicht

nur das Zünglein an der Waage für den

Regierungswechsel, sondern auch klar

für den EU-Beitritt und die Beibehaltung

der NATO-Mitgliedschaft. Daher

sollen dieser Partei das Innen- und das

Verteidigungsministerium zufallen.

Nicht berücksichtigt hat Krivokapic

prominente Führer der proserbischen

Opposition; das führte zu massiven

Konflikten und zur Verschiebung der

Parlamentssitzung auf derzeit Anfang

Dezember, bei der die neue Regierung

angelobt werden soll. Äußerst zurückhaltend

agiert dagegen die DPS, die

jeden Eindruck vermeiden will, den

Machtwechsel zu sabotieren.

Die Zeit drängt: Zdravko Krivokapic will

die Regierung von 17 auf 12 Minister

verkleinern; das erfordert nicht nur

die Änderung vieler Gesetze und

Verordnungen; auch der von der DPS

vorgelegte Budgetentwurf kann somit

so nicht beschlossen werden. Die

Frist dafür ist Ende Dezember; deren

Einhaltung fraglich. Hinzu kommt, dass

in Montenegro der Tourismus als wichtigster

Wirtschaftszweig wegen der

Corona-Krise massiv eingebrochen ist.

Das Land wird Hilfe von IWF und Weltbank

brauchen, doch bis dato fanden

weder Gespräche mit der amtierenden

Regierung noch mit den internationalen

Finanzinstitutionen statt. Dem

künftigen Kabinett fehlen dazu auch

die Experten. Montenegro könnte

somit inmitten von Corona-Pandemie

und Wirtschaftskrise auch noch politische

Instabilität bevorstehen.

Foto: ORF

GASTKOMMENTAR

016

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!