SOCIETY 378
Die neue SOCIETY-Ausgabe mit den Fokusländern United Kingdom und China, Interviews mit Botschaftern von u.a. Frankreich, Kroatien, Mexiko. Porträts von Prinz Charles, Chris Lohner und Hugo Portisch.
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SOCIETY
Montenegro: Machtwechsel
im Balkanstaat
„In der Mitte des Flusses wechselt man nicht die Pferde“ – lautet ein
Sprichwort. Genau das soll nun in Montenegro passieren, wobei eher
die Reiter abgeworfen werden, die das Land seit 30 Jahren führen.
Denn die “DPS, die Partei der Macht“,
unter Präsident Milo Djukanovic blieb
bei der Parlamentswahl Ende August
zwar klar stärkste Kraft, verlor aber mit
ihren Koalitionspartnern knapp die absolute
Mehrheit. Gemeinsam mit Sozialdemokraten
und den Parteien der
nationalen Minderheiten kommt die
DPS auf 39 Sitze; dagegen hat die Opposition
unter Führung proserbischer
Parteien 41 Mandate. Im Parlament mit
seinen 80 Sitzen gibt es zwei wilde Abgeordnete,
neun Klubs und 13 Parteien.
Die bisherige Opposition besteht aus
fünf Fraktionen, in denen prorussische,
serbische Nationalisten, gemäßigte
serbische und prowestliche Politiker
ebenso vertreten sind. Sie eint nur die
Gegnerschaft zu Milo Djukanovic; er
bleibt zwar weiter Staatspräsident aber
seine DPS soll endlich in Opposition
geschickt werden.
ORF-Balkan- und Ukrainekorrespondent
Mag. Christian Wehrschütz
Doch bei diesem Unterfangen gibt
es beträchtliche Probleme. Neuer
Regierungschef soll Zdravko Krivokapic
werden. Der 62-jährige war bis
vor wenigen Monaten ein politisch
unbekannter Professor für Maschinenbau
an der Universität in Podgorica.
Bekannt wurde er als eine zentrale Figur
der Massenproteste gegen ein Religionsgesetz,
mit dem die Regierung
die serbisch-orthodoxe Kirche unter
staatliche Kontrolle bringen wollte.
Einerseits ist die Rechtsstellung dieser
Kirche nicht ausreichend geregelt, die
auch die montenegrinische Nationsbildung
erschwert; andererseits versuchte
das Gesetz mit juristisch strittigen
Mitteln Eigentumsfragen zu seinen
Gunsten zu klären. Das führte dazu,
dass die serbische Orthodoxie unter
Metropolit Amfilohie (Radovic) massiv
in den Wahlkampf eingriff und auch
Zdravko Krivokapic als Spitzenkandidat
der Opposition durchsetzte. Auch
seine Ministerliste enthält so manche
Person, die der Orthodoxie nahesteht.
Sie ist aber derzeit durch den Tod von
Amfilohie Ende Oktober führungslos;
politisch hat damit Krivokapic seine
wichtigste Stütze verloren. Er macht im
persönlichen Gespräch den Eindruck
eines anständigen Menschen; doch
für ihn und all seine künftigen Minister
gilt, dass sie weder über politische
Erfahrung verfügen noch als wirkliche
Experten angesehen werden können.
Doch gerade eine Experten-Regierung
war das zentrale Versprechen der
aus drei Bündnissen bestehenden
Opposition. Von ihnen soll im Kabinett
nur die kleinste Gruppe, die grünbürgerliche
Partei URA, prominent
vertreten sein, die vom Albaner Dritan
Abazovic geführt wird. URA hat zwar
nur vier Abgeordnete, ist aber nicht
nur das Zünglein an der Waage für den
Regierungswechsel, sondern auch klar
für den EU-Beitritt und die Beibehaltung
der NATO-Mitgliedschaft. Daher
sollen dieser Partei das Innen- und das
Verteidigungsministerium zufallen.
Nicht berücksichtigt hat Krivokapic
prominente Führer der proserbischen
Opposition; das führte zu massiven
Konflikten und zur Verschiebung der
Parlamentssitzung auf derzeit Anfang
Dezember, bei der die neue Regierung
angelobt werden soll. Äußerst zurückhaltend
agiert dagegen die DPS, die
jeden Eindruck vermeiden will, den
Machtwechsel zu sabotieren.
Die Zeit drängt: Zdravko Krivokapic will
die Regierung von 17 auf 12 Minister
verkleinern; das erfordert nicht nur
die Änderung vieler Gesetze und
Verordnungen; auch der von der DPS
vorgelegte Budgetentwurf kann somit
so nicht beschlossen werden. Die
Frist dafür ist Ende Dezember; deren
Einhaltung fraglich. Hinzu kommt, dass
in Montenegro der Tourismus als wichtigster
Wirtschaftszweig wegen der
Corona-Krise massiv eingebrochen ist.
Das Land wird Hilfe von IWF und Weltbank
brauchen, doch bis dato fanden
weder Gespräche mit der amtierenden
Regierung noch mit den internationalen
Finanzinstitutionen statt. Dem
künftigen Kabinett fehlen dazu auch
die Experten. Montenegro könnte
somit inmitten von Corona-Pandemie
und Wirtschaftskrise auch noch politische
Instabilität bevorstehen.
Foto: ORF
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