SOCIETY 378
Die neue SOCIETY-Ausgabe mit den Fokusländern United Kingdom und China, Interviews mit Botschaftern von u.a. Frankreich, Kroatien, Mexiko. Porträts von Prinz Charles, Chris Lohner und Hugo Portisch.
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Porträts von Prinz Charles, Chris Lohner und Hugo Portisch.
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SOCIETY
Österreichs Verfassung
ist hundert Jahre alt
Österreich verfügt über die älteste schriftliche
Verfassung Europas, die weiterhin Gültigkeit besitzt.
2020 feierte das Vertragswerk, das
nach dem Zusammenbruch der
Monarchie und zwei Jahre nach Ende
des Ersten Weltkriegs als rechtliche
Grundlage der jungen Republik geschaffen
wurde, seinen 100. Geburtstag.
Zugleich würdigte Österreich den
Architekten des Bundesverfassungsgesetzes,
Hans Kelsen. Am 1. Oktober
1920 beschloss die Konstituierende
Nationalversammlung dieses Bundesverfassungsgesetz
als Grundlage
der Ersten Republik. Auf dem selben
Vertragswerk beruht auch die Zweite
Republik. Zu den Grundprinzipien
zählen neben liberaler Demokratie
und Rechtsstaat Pluralismus, bundesstaatliche
Ordnung und Gewaltenteilung
zwischen Gesetzgebung,
Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Als
Kontrollorgane sind Verfassungs-,
Verwaltungsgericht, Rechnungshof
und Volksanwaltschaft verankert.
Nur ein Mal erfuhr die Verfassung
eine tiefgreifende Änderung: 1995, als
Österreich nach einer Volksabstimmung
der Europäischen Union beitrat.
Der Gleichheitsgrundsatz wurde in
der Verfassung von 1920 bereits klar
definiert, gekoppelt mit einer klaren
Absage der aus den Trümmern
der Monarchie hervorgegangenen
jungen Republik an Vorrechte von
Geburt, Geschlecht, Stand, Klasse
und Bekenntnis. Der Präsident des
Verfassungsgerichtshofes, Christoph
Grabenwarter, stellt in einem Artikel
zum 100-Jahre-Jubiläum fest: Liberale
Grundrechte des 19. Jahrhunderts
stehen neben universell inspirierten
europäischen Menschenrechten
der Nachkriegszeit, österreichische
Schöpfungen wie Datenschutz oder
Recht auf Zivildienst neben Grundrechten
des 21. Jh. in der Charta der
EU. Die Grundrechte gewähren Meinungs-
und Religionsfreiheit, Vereinsund
Versammlungsrecht.
HANS KELSEN,
SCHÖPFER DER VERFASSUNG
Kelsen wurde 1881 als Sohn einer
jüdischen Unternehmerfamilie in Prag
geboren. Sein Vater stammte aus
Galizien, seine Mutter aus Böhmen. In
Wien studierte er Jus. Zunächst diente
er als Beamter in der Donaumonarchie.
1911 habilitierte er sich zum Thema
„Hauptprobleme der Staatsrechtslehre“.
Im Ersten Weltkrieg wurde Kelsen
Referent des k.u.k.-Kriegsministers,
1918 Professor an der Universität Wien.
Politische Bildung, auch für Mädchen,
war ihm stets ein Anliegen. Bis zur
Emigration 1940 hielt er an Wiener
Volksbildungseinrichtungen Vorträge
über Staatslehre. Nach dem Krieg
schlug für den ehemaligen k.u.k.-Beamten
die große Stunde. Staatskanzler
Karl Renner beauftragte Kelsen mit
der Erstellung eines Verfassungsentwurfs.
Dieser ging von der Prämisse
aus, dass die Republik kein Rechtsnachfolger
der Monarchie sei. Nach
den Vorschlägen Kelsens wurde ein
Verfassungsgerichtshof geschaffen,
dem er selbst als parteiunabhängiger
Experte angehörte. Dieses Modell des
Verfassungsgerichtshofes sollte später
zum Vorbild für zahlreiche europäische
Staaten werden.
VON DER MONARCHIE ZUR REPUB-
LIK, VON EUROPA NACH AMERIKA
In Österreich verschärfte sich indessen
die politische Lage, der Antisemitismus
nahm zu. 1929 verließ Kelsen
das Verfassungsgericht, 1930 ging er
an die Universität Köln, später nach
Genf, wo sein bedeutendes Werk „Die
reine Rechtslehre“ entstand. 1934 wurde
in Österreich eine ständisch-autoritäre
Verfassung installiert. Das Leben
des großen Staatsrechtlers in Europa
ging zu Ende. Kelsen emigrierte in
die USA, wurde Gastprofessor an den
Universitäten Harvard und Berkeley.
Er verfasste Schriften zur UNO-Charta
und zu den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.
Kelsens Lebenswerk
umfasst 300 Werke. In den 50er Jahren
reiste er zu Vorträgen nach Europa.
1962 hielt er erstmals einen Vortrag in
Wien. 1964 besuchte der nachmalige
Bundespräsident Heinz Fischer den
Autor der nach 1945 wieder eingesetzten
Verfassung in Kalifornien. Das war
der Auftakt für regelmäßige Österreich-Aufenthalte.
1971 wurde in Wien
das Hans-Kelsen-Institut gegründet.
1973 starb der große Rechtsgelehrte in
den USA. Das Jüdische Museum Wien
widmet Kelsen und „seiner“ Verfassung
eine beeindruckende Jubiläums-
Ausstellung.
Text von Hermine Schreiberhuber
GESCHICHTE
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