SOCIETY 378
Die neue SOCIETY-Ausgabe mit den Fokusländern United Kingdom und China, Interviews mit Botschaftern von u.a. Frankreich, Kroatien, Mexiko. Porträts von Prinz Charles, Chris Lohner und Hugo Portisch.
Die neue SOCIETY-Ausgabe mit den Fokusländern United Kingdom und China, Interviews mit Botschaftern von u.a. Frankreich, Kroatien, Mexiko.
Porträts von Prinz Charles, Chris Lohner und Hugo Portisch.
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SOCIETY
Ich freue mich, dass die Grundeinstellung der Österreicherinnen
und Österreicher nach 25 Jahren EU-Mitgliedschaft zwar kritisch,
aber durchaus proeuropäisch ist.
unsere Werte und unser einzigartiges
Sozialmodell bewahren, wenn wir
in weltpolitischen Fragen – von der
Sicherheit im Nahen Osten über die
Armutsbekämpfung in Afrika bis hin
zur Migrationsherausforderung – als
Kontinent sprech- und handlungsfähig
werden.
Apropos globale Rolle der EU: Wie verändert
der Ausgang der US-Wahl das
transatlantische Verhältnis?
Natürlich ist bei uns in den Gängen
ein Seufzer der Erleichterung zu hören.
Es ist für jedermann sichtbar, dass
Joe Biden deutlich mehr an kooperativen
transatlantischen Lösungen
interessiert ist als es Donald Trump
je war. Wir sollten allerdings nicht zu
euphorisch sein. Trump mag im Januar
Geschichte sein, aber der Trumpismus
wird uns noch lange beschäftigen. Uns
Europäern muss außerdem klar sein:
Kein US-Präsident wird den Job für
Europa machen. Bis zur Wahl Trumps
2016 konnten wir Europäer meist noch
darauf zählen, dass es Uncle Sam
notfalls richten würde, ob bei globalen
Finanzkrisen oder in Sicherheitsfragen.
Das war eine Komfortzone, in der
wir uns recht behaglich eingerichtet
hatten. Damit ist Schluss. Europa muss
sein Schicksal ein Stück weit selbst in
die Hand nehmen.
Wie sieht die derzeitige Beziehung
zwischen der EU und Österreich aus?
Ich freue mich, dass die Grundeinstellung
der Österreicherinnen und
Österreicher nach 25 Jahren EU-Mitgliedschaft
zwar kritisch, aber durchaus
proeuropäisch ist. Man muss nicht
alles, was aus Brüssel oder Straßburg
kommt, für richtig halten, und das ist
es ja auch nicht immer. Wichtig ist mir
aber, darauf hinzuweisen, dass EU-Politik
nicht auf fernen Planeten namens
Brüssel oder Straßburg gemacht wird,
sondern dass die österreichische
Regierung seit 25 Jahren bei allen
Entscheidungen mit am Tisch sitzt
und direkt gewählte österreichische
Europaabgeordnete alle EU-Gesetze
maßgeblich mitgestalten. Aus der
Sicht jedes EU-Staats gibt es das eine
oder andere Thema, das auf EU-Ebene
kontrovers diskutiert wird. Es ist
völlig legitim, dass die österreichische
Regierung dabei österreichische Interessen
einbringt und vertritt. Wichtig
ist nur, dass wir am Ende zu einer gemeinsamen
Lösung kommen. Und da
ist Österreich meist sehr konstruktiv,
wie vor allem der starke Beitrag zum
Europäischen Aufbaufonds gegen die
Corona-Krise zeigt.
Als Basis für eine gute Zusammenarbeit
zwischen Brüssel und Österreich
setzen Sie Vertrauen und Aufgeschlossenheit
voraus. Daher sagen
Sie auf Ihrer Website: „Wir möchten,
dass Österreich Brüssel und Brüssel
Österreich besser kennt und versteht.“
Wie wollen Sie diese Vertrauensbasis
schaffen? Denken Sie, dass
Europa Menschen jeder Generation
anspricht?
Vertrauen schafft man nur mit
Transparenz, Dialogbereitschaft und
korrekten Informationen. Deshalb
kommuniziert das Team unserer
Kommissionsvertretung auf verschiedensten
Ebenen: über persönliche
Gespräche, über interaktive Diskussionsveranstaltungen,
über unsere
Europe-Direct-Informationszentren
in den neun Bundesländern, über die
EU-Gemeinderäte und über Medien.
Europa hat für alle Altersklassen etwas
zu bieten. Meine Nichten und Neffen
sind bis heute davon begeistert,
dass Europa die Roaming-Gebühren
abgeschafft hat, während sich die
ältere Generation noch daran erinnern
kann, dass der Frieden zwischen den
Europäern keineswegs selbstverständlich
ist. Die Corona-Pandemie
zeigt auch, wie schnell das Europa der
offenen Grenzen und des ungehinderten
Reisens in Frage gestellt werden
kann. Meine wichtigste Botschaft ist
deshalb immer: Europa ist nicht perfekt.
Man muss jeden Tag an Europa
arbeiten, wenn man es bewahren und
verbessern möchte. Das kann jeder
tun, ob jung oder alt, indem er oder sie
sich in die Debatte um die Gestaltung
unseres Kontinents einbringt.
Wie stellen Sie sich das Europa der
Zukunft in 25 Jahren vor?
Europa wird in 25 Jahren hoffentlich
weiterhin ein offener, wertegeprägter
Kontinent sein, der seinen Bürgerinnen
und Bürgern Freiheit, Fairness und
Sicherheit bietet. Europa wird weiter
dezentral und demokratisch organisiert
sein, aber in entscheidenden Politikfeldern
seine Kräfte wirksam bündeln
können. Wir werden dann hoffentlich
auch mit einer effizient organisierten
gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
– vertreten durch einen
gemeinsamen Europäischen Außenminister
– einen zentralen Beitrag zu
Frieden und Freiheit in der gesamten
Welt leisten. Ich sehe die Europäische
Union in dieser Zeit durch die Aufnahme
der Staaten des Westbalkans auf
35 Mitgliedstaaten angewachsen – was
uns dazu zwingen wird, die EU-Entscheidungsverfahren
erneut deutlich
zu vereinfachen. Wenn uns das gelingt,
dann wird Europa neben den USA und
China die globale Ordnung mitgestalten
können. Ein solches Europa wird in
25 Jahren auch ein wichtiger Pfeiler der
Vereinten Nationen sein und dort an
der weiteren Ausgestaltung des multilateralen
Systems mitwirken können. Und
Europa wird, so meine Hoffnung, in 25
Jahren ein starker Akteur im Weltraum
sein. Ich stelle mir vor, dass bei den
ersten Menschen, die bis dahin auf dem
Mars landen werden, auch mindestens
eine Europäerin dabei sein wird.
EUROPEAN UNION
019