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WIKO – Wirtschaftskompass Altmühlfranken Ausgabe 2021

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WIKO

Kummerkasten für die Mitarbeiter für

eine gelungene Form der Kommunikation

halten. Pütz-von Fabeck: „Dabei

ist es wirklich kein gutes Zeichen, wenn

sich die Mitarbeiter nur anonym trauen,

ihren Vorgesetzten zu beschimpfen.“

Ortswechsel, Pleinfeld, das Werk von

Gore. Knapp 400 Menschen arbeiten

hier in der fränkischen Niederlassung

des amerikanischen Konzerns, der

ein Profi für innovative Werkstoffe ist,

an Medizintechnik und Autoindustrie

liefert, aber auch Funktionstextilien

herstellt. Hier ist alles schon so lange

anders, dass es längst normal ist. Über

die „modern Leadership“ kann man bei

Gore nur milde lächeln. Hier praktiziert

man diese Art der Unternehmensführung

seit mehr als einem halben Jahrhundert.

Und zwar aus Überzeugung.

Dafür wurde man lange belächelt. Gore

galt in Wirtschaftskreisen als die exzentrische

Hippie-Tante, die es in jeder

Familie gibt. Nicht unsympathisch,

aber schon auch anstrengend.

Die Zeiten sind vorbei. Gore wird derzeit

deutschlandweit als leuchtendes

Beispiel moderner Mitarbeiterführung

gepriesen. Und das mit gutem Grund.

Immerhin hat der Konzern bewiesen,

dass flache Hierarchien, Eigenverantwortung

der Mitarbeiter und Unternehmenswerte

wie Fairness im harten

Wirtschaftsalltag keine rosaroten

Träumereien sind, sondern am Markt

funktionieren. Und zwar ohne dass der

Markt Sympathiepunkte für Nettigkeit

vergeben würde.

Das System Gore funktioniert nicht

trotz des Social-Management-Gedöns

so hervorragend, sondern tatsächlich

deswegen. Vier Milliarden Euro Umsatz

und 11.000 Mitarbeiter in mehr als 25

Ländern sprechen für sich. Gore zählt

zu den 200 reichsten Unternehmen

der USA in Privatbesitz.

Und wie sieht die neue Arbeitswelt

am Standort in Pleinfeld aus? Lauter

Kreative im freien Austausch der Ideen?

„Nein, nein, wir haben hier schon

auch eher administrative Tätigkeiten“,

stellt Madlin Bußinger schmunzelnd

im Gespräch mit unserem Magazin

fest. Sie will vermeiden, dass man

Gore als Raumschiff sieht, das abgehoben

durch die Weiten der Arbeitswelt

schwebt. Bußinger ist Human-Re-

sources-Managerin am Pleinfelder

Standort des Konzerns. Ihr Job ist es

gerade, die Gore-Welt zu erklären. Und

das beginnt mit einem über das Interview

verteilten Sprachkurs. Denn bei

Gore gibt es eigentlich gar keine Mitarbeiter,

sondern Associates, keine

Aufgaben, sondern Commitments und

keine Vorgesetzten, sondern Sponsoren.

Die Philosophie des amerikanischen

Firmengründers Bill Gore aus

Delaware wird auch an der Rezat hochgehalten.

Man kriegt hier nicht

ständig gesagt,

was man tun muss.

Was hinter diesen Anglizismen steht,

ist ein schlankes und einleuchtendes

Konzept, das wieder zum Anfang dieses

Textes führt. Denn auch hier geht

es um Verantwortung. Die Menschen,

die bei Gore arbeiten, sollen nicht nur

einen Job machen, sondern sich als

Teil des Unternehmens fühlen. Und

damit das nicht nur schöne Worte

sind, gibt es sehr handfeste Anreize.

Die Mitarbeiter bekommen Anteile am

Unternehmen, erklärt Bußinger. Es gibt

eine Art firmeninternen Aktienkurs,

der anzeigt, wie es dem Unternehmen

geht, und der auch festlegt, was die

Anteile der Mitarbeiter wert sind. Im

Grunde arbeitet jeder Gore-Mitarbeiter

also nicht nur für das Unternehmen,

sondern auch für sich selbst. Vom

Unternehmer im Unternehmen ist die

Rede.

„Das ist aber nur ein Baustein unserer

Philosophie“, betont Bußinger. Denn

die Gore-Idee ist ja gerade, dass es

nicht nur ums Geld geht, sondern auch

um Begeisterung und Leidenschaft. Es

gibt ganz flache Hierarchien und man

legt Wert auf kleine Teams, die sich für

spezielle Fragestellungen neu zusammenfinden

und vieles selbstständig

entscheiden. „Man kriegt hier nicht

ständig gesagt, was man tun muss,

sondern organisiert sich selbst“, erklärt

die Human-Resources-Managerin.

Ein Umstand, mit dem nicht jeder

zurechtkommt, wie der Pleinfelder

Werksleiter Pascal Wucher einräumt.

„Gerade wenn neue Mitarbeiter aus

klassischen Hierarchien zu uns kommen,

wollen die immer ganz genau

wissen, was sie jetzt tun sollen.“ Aber

so funktioniert Gore nicht. „Wir setzen

stark auf Freiräume und die Möglichkeit,

sich selbst zu entfalten.“ Allerdings

muss man sich dafür auch selbst

führen können, weiß der Werksleiter.

Der „Cultural Fit“ zwischen Mitarbeiter

und Unternehmen sei bei Gore deshalb

von entscheidender Bedeutung, räumt

Personalerin Bußinger ein. Wem mehr

an klaren Vorgaben als an der Chance

zur Selbstorganisation gelegen ist,

die am Ende ja auch eine Pflicht ist,

sei vielleicht bei einem anderen Unterenehmen

besser aufgehoben. Bei den

Bewerbungsgesprächen würden aber

beide Seiten meist schnell feststellen,

ob sie zusammenpassen oder nicht,

hat die Gore-Personalerin festgestellt.

Und wenn es passt, wird man auch

ein bisschen Teil einer neuen Familie.

Denn bei Gore wird zum Beispiel aus

Überzeugung geduzt. Das sei Teil der

Begegnung aller auf Augenhöhe und

ein Ausdruck der Idee, dass man Kollegen

und Mitarbeitern mit Vertrauen

begegnet. Dazu gibt es rund ums Unternehmen

auch Freizeitaktivitäten,

die die Firmengemeinschaft zusammenschweißen

sollen.

„Aber das ist natürlich keine Pflicht,

sondern nur ein Angebot“, lacht Madlin

Bußinger. „Es hat ja auch nicht jeder

Lust, nach Feierabend eine Runde joggen

zu gehen.“ Na immerhin, ein paar

Konstanten gibt es zwischen alter und

neuer Arbeitswelt dann doch noch.

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