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Credit Suisse bulletin, 2008/03

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<strong>Ozean</strong> Schifffahrt<br />

Umweltsünder Schifffahrt Lange galt die Schifffahrt<br />

als besonders umweltfreundlich. Dabei<br />

sind die rund 40 000 Frachter, Kreuzfahrtschiffe,<br />

Fischtrawler und Fähren in einem ähnlichen<br />

Masse wie der Flugverkehr für rund fünf Prozent<br />

der weltweiten CO 2 -Emissionen verantwortlich.<br />

Durch das starke Wachstum der Welthandelsflotte,<br />

haben Experten ausgerechnet, werden die Emissionen<br />

bis zum Jahr 2020 schätzungsweise um<br />

75 Prozent steigen. In jüngster Zeit häufen sich die<br />

Forderungen, die Schifffahrt umweltpolitisch an<br />

die Kandare zu nehmen. Die Experten des Weltklimarates<br />

(IPCC) beispielsweise empfahlen in einem<br />

Bericht von 2007 ausdrücklich, Tanker und Frachter<br />

mit Zusatzsegeln aufzurüsten – als eine Massnahme,<br />

um den Treibstoffverbrauch und damit den<br />

CO 2 -Ausstoss einzudämmen.<br />

schiffe mit Motoren oder Motorschiffe mit einer Windunterstützung.»<br />

Denn die Entwicklungskosten für revolutionäre Schiffe wie beispielsweise<br />

für den vom Dänen Knud E. Hansen konzipierten 215 Meter<br />

langen Segelfrachter «Windship 1» sind immens. Und die Risikobereitschaft<br />

der Reeder hat enge Grenzen, nämlich die der Wirtschaftlichkeit<br />

und Rentabilität. Zudem ist die Verladetechnik nicht<br />

für grosse Schiffe mit mehreren Masten entwickelt worden. Deswegen,<br />

meint Schenzle, seien kurzfristige Lösungen interessanter<br />

und attraktiver, wie sie beispielsweise von der Firma SkySails<br />

angeboten werden. Das Hamburger Unternehmen produziert Flugdrachen,<br />

die Tanker und Frachter mit der Kraft des Windes über die<br />

Meere ziehen. Stefan Wrage, Gründer von SkySails, geht davon<br />

aus, dass Reeder mit seinem Zusatzantrieb bis zu 35 Prozent Treibstoff<br />

einsparen können. Bei einem kleinen, 87 Meter langen Frachter<br />

wären das immerhin rund 280 000 Euro pro Jahr. Bis 2015 will<br />

Wrage 1500 Drachen verkaufen.<br />

Im März dieses Jahres beendete die MS Beluga SkySails, der<br />

erste Grossfrachter, der von einem 160 Quadratmeter grossen<br />

Drachen gezogen wird, seine Jungfernfahrt. Der Erfolg der Hamburger<br />

zeigt, dass alternative Antriebskonzepte auch von Reedereien<br />

nicht mehr nur als romantische Spinnerei abgetan, sondern<br />

mittlerweile sehr ernst genommen werden. «Solche kleinen Neuerungen<br />

sind wichtig», urteilt Heinz Otto vom Bundesverband Wind-<br />

Energie (BWE) in Hamburg. «Aber sie können nur der Einstieg in<br />

die nachhaltige Schiffsbetriebstechnik sein. Denn die Windnutzung<br />

hat ein noch viel grösseres Potenzial, um Energie einzusparen und<br />

damit Emissionen zu verringern.» Otto wirbt seit über 30 Jahren<br />

bei Politikern und Reedereien für windbetriebene Schiffe. Eine<br />

Arbeit, die er als «sehr mühsamen Kampf» bezeichnet. «Die Reeder<br />

sind Gefangene ihres weltweiten Konkurrenzdrucks», erklärt er,<br />

«sie haben einfach keine Zeit investiert, um eine Zukunft nach dem<br />

Öl zu durchdenken.»<br />

Schon in den Achtzigerjahren hatten japanische Reeder Tanker<br />

und Frachter wie den «Usuki Pioneer» oder den «Shin Aitoku<br />

Marumit» mit starren Segelkonstruktionen versehen, die bei der<br />

Hafeneinfahrt zusammengeklappt werden konnten. Allerdings<br />

setzten sich diese Neuerungen trotz ihres Erfolges nicht durch,<br />

da die Wartungs- und Reparaturkosten unerwartet hoch waren<br />

und der niedrige Ölpreis niemanden zum langfristigen Sparen und<br />

Umdenken zwang.<br />

Ein anderer Zusatzantrieb, der gerade seine Wiederentdeckung<br />

erlebt, ist der Flettner-Rotor. Er wurde bereits in den Zwanzigerjahren<br />

in Norddeutschland entwickelt. Auch diesem Antrieb wird<br />

eine grosse Zukunft vorausgesagt. Der Rotor besteht aus einem<br />

senkrecht stehenden, rotierenden Zylinder, der zwar nicht besonders<br />

schön aussieht, aber durch den so genannten Magnus-Effekt<br />

eine sehr effektive Schubkraft erzeugt. Bei gleicher Angriffsfläche<br />

kann er die zehnfache Triebkraft eines normalen Segels entwickeln.<br />

Bläst der Wind gegen den rotierenden Zylinder, wird er auf der<br />

vorderen Zylinderseite mitgerissen und strömt dort schneller. Auf<br />

der rückwärtigen Zylinderseite wird er abgebremst und strömt langsamer.<br />

Die daraus resultierenden Sog- und Staudruckkräfte erzeugen<br />

die Vorwärtsbewegung. Zurzeit wird ein 130 Meter langer<br />

Frachter mit vier Flettner-Rotoren in einer Kieler Werft gebaut.<br />

«Der Vorteil gegenüber einem Segel ist ein deutlich geringerer Platzbedarf<br />

bei höherem Schub», sagt Jacob-Heye Waldecker, Schiffbau-Projektingenieur<br />

bei Lindenau. Der französische Meeresforscher<br />

Jacques-Yves Cousteau hatte in den Achtzigern das Forschungsschiff<br />

«Alcyone» bauen lassen, das ebenfalls mit Hilfe<br />

aktiver Strömungsbeeinflussung fuhr. Allerdings wird die «Alcyone»<br />

nicht über Rotoren betrieben, sondern über ein so genanntes<br />

Turbosail, das bis zu 30 Prozent der Vortriebsleistung generiert.<br />

Auch die reine Sonnenenergie könnte der Schifffahrt den Weg<br />

in eine umweltfreundlichere Zukunft weisen. Bereits seit den<br />

Achtzigern wurde in verschiedenen Projekten mit Solarantrieben,<br />

Solarfolien für Segel oder den Tragflächen von Flugzeugen nachempfundenen<br />

Solarflügeln experimentiert. 2007 gelang dem<br />

Schweizer Katamaran «Sun21» die erste Atlantiküberquerung –<br />

nur mit Hilfe der Sonnenenergie. Allerdings schafft das kleine, 14<br />

Meter lange Boot lediglich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von<br />

fünf bis sechs Knoten. Als Antrieb für grosse Handelsschiffe wird<br />

die Solaren ergie aufgrund ihrer begrenzten Leistungsfähigkeit und<br />

ihres grossen Flächenbedarfs somit wohl unbrauchbar bleiben.<br />

Aber denkbar ist, dass reine Solarboote wie beispielsweise kleine<br />

Fähren oder Ausflugsboote zur Erkundung von küstennahen Naturschutzgebieten<br />

oder Seen die Motorschiffe verdrängen, vor allem<br />

in sonnenreichen Regionen. Zudem ist natürlich ein Hybridantrieb<br />

mit Solarenergie denkbar, so wie ihn der australische «Solarailor»<br />

nutzt. Das Boot bietet Platz für 600 Personen und spart mit seinem<br />

Solarantrieb rund 40 Prozent Treibstoff.<br />

Intelligente Kombination aller alternativen Antriebe<br />

Eine sehr futuristische Vision hat die schwedische Reederei Wallenius<br />

Wilhelmsen entwickelt. Auf der Expo 2005 in Japan stellte<br />

sie die «Orcelle» vor, einen Trimaran-Frachter, der Platz für 10 000<br />

Autos bietet und der nur mit regenerativer Energie betrieben wird –<br />

und zwar mit Wind, Seegang, Solarenergie und zwischengespeichertem<br />

Wasserstoff. Auch Schenzle hält solche abenteuerlustigen<br />

Projekte künftig für notwendig. «Die intelligente Kombination von<br />

Windkraft und Solarenergie als Antriebe der Zukunft ist ja nur<br />

der erste Schritt», sagt er. «Wenn wir wirklich einmal ernsthaft die<br />

Chance zum vollends emissionsfreien Seetransport nutzen wollen,<br />

dann muss sich vieles ändern. Nicht nur in der technischen Hardware,<br />

sondern auch vom Energiemanagement der Erzeuger und<br />

Verbraucher an Bord bis zur flexiblen Organisation saison- und<br />

wetterabhängiger Reisezeiten und Hafenabfertigungen im Rahmen<br />

der Transportkette.» Mit anderen Worten: Die Schifffahrt der Zukunft<br />

steht erst an ihrem Anfang. <<br />

Fotos: Amory Ross | SkySails | Alexis Rosenfeld, Science Photo Library | Dylan Cross<br />

Credit Suisse Bulletin 3/<strong>08</strong>

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